Dienstag, 6. Januar 2015

Am Würstelstand nachts um halb zwei – Identität und Subjektgenese. Eine Polemik

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„Ich möhte irgendwas für dich sein.
Doch am Ende bin ich nur ich selbst.“
-Tocoronic-



Ich..., du..., wir..., die Anderen..., Identität...und Identitätskonstruktion...Halt, Stopp! Mir rauscht jetzt schon der Kopf. Perfekt.
Denn per se ist dieses Rauschen im Kopf ein guter Ausgangspunkt für unsere Überlegungen.

Versuchen wir uns doch mal gemeinsam an den letzten Abend zu erinnern, an dem wir uns richtig fett auf den Weg zum nächstbesten Würstelstand gemacht haben.
Dem französischen Philosophen Jean Paul Satre geht die Essenz der Existenz immer voraus. Was eigentlich nicht mehr heißt, als das der Gang zum Würstelstand (Existenz) immer meist dann erst erfolgt, wenn der Mensch richtig fett ist (Essenz). Gerade Letzteres ist, grob vereinfacht, auch jener Moment, den Martin Heidegger unter dem „in die Welt geworfen sein“ begreift. Wir irren fett umher und suchen nach Sinn, beziehungsweise dem Imbiss der noch offen hat.

Was aber nun hat das, was wir unter dem Begriff der Identität versuchen wollen zu fassen, mit dem Würstelstand zu tun? Ganz einfach: Den Moment der Wahl. Ebenso, wie wir uns am Stand schon in der Schlange Gedanken machen, was wir denn nun alles nehmen, wieviel Geld noch in unseren Taschen steckt und dann doch wieder alles verwerfen, weil der vor uns in der Reihe Stehende sich auf die Schuhe gekotzt hat und deswegen ganz unerwartet und spontan dran kommen, so besteht auch unsere Identität aus vielfältigen Entscheidungen. Seien diese nun aktiver oder zugeschriebener Natur.

Räumen wir anhand unseres Beispiels aber erst einmal mit einigen Allgemeinplätzen auf.
Vielleicht mögen wir Käsekrainer unheimlich gern, weil unser Vater immer schon welche gegessen hat und unsere ganze Familie zuvor auch. Das wir deswegen aber zwangsläufig nur Käsekrainer essen, ist, mit Verlaub, Unfug. Ebenso verhält es sich mit dem Faktor der verschiedenen Sozilisationsinstitutionen in Bezug auf die Subjektgenese.

Gleichfalls funktioniert das, was hier vereinfacht unter dem Begriff „Kultur“ summiert werden soll, nicht wie ein Container. Auch, wenn die FPÖ gerne hätte, dass Österreich aus Lederhosen, Bier und Andreas Gabalier bestehen würde, so beweist MC Strache doch allein mit seinen Rapvideos das genaue Gegenteil. SoziologInnen sprechen hier vom Effekt der Glokalisierung. Globale Phänomene, die sich mit lokalen Gegebenheiten zu etwas Neuen vermischen. Am Würstelstand ist dieses Phänomen spätestens dann erkennbar, wenn der Kollege sich ein Schnitzel im Fladenbrot und Joghurtsauce bestellt und dazu den treffenden Namen „Melting Pot“ benutzt.

Widmen wir uns also wieder dem Moment der Wahl und dessen Auswirkungen auf die Identität. Wir zuvor dargestellt, hängt unsere Wahl am Würstelstand von vielen Faktoren ab. Einige davon können wir beeinflussen, andere nicht. Wieviel Geld habe ich noch? Schmecken mir Würstle um 2 Uhr Nachts überhaupt noch? Und will ich noch ein Bier dazu oder lieber einen Schnaps? Andere aber liegen außerhalb unseres individuellen Seins und sind Resultate von Entscheidungen der Anderen, beziehungsweise all dem, was uns umgibt. Hat der Stand Ottakringer oder Stiegel? Warum gibt es keine Pommes mehr und warum zur Hölle gibt es hier grindige vegane Würstchen?
Adorno und Horkheimer würden an dieser Stelle auf den dialektischen Charakter von Identität und Konstruktion verweisen. Was nichts anderes heißt, als dass ich zwar beim Würstelstand meine frei wählen zu können, allerdings immer froh sein muss, dass der Prolet, dem der Stand gehört, mir nicht eine auf die Goschen haut.

Es ist aber gerade jener Moment der Wahlfreiheit der wiederum einen Allgemeinplatz abbildet, den jede/r von uns mindestens schon dreimal in seinem Leben gehört hat: „Die Welt wird immer komplizierter.“
Und in der Tat, wir müssen wählen. Ottakringer, Stiegel, Puntigamer, Schwechater oder...wäh, pfui, ein importiertes Heineken.
Warum aber gerade diese Entscheidungen von komplizierterer und existentiellerer Art sein sollen, als jene Entscheidungen, die Menschen Jahrhunderte vor uns treffen mussten, wissen meist nur die Leute, die eben diese Rhetorik pflegen. Und das Entscheidungen bei weniger Wahlmodalitäten einfacher sind, weiß jede/r nach Wien Zugezogene spätestens dann, wenn einem die obligatorische Frage „Austria oder Rapid?“ ins Gesicht schlägt.

Wovon wir uns verabschieden müssen ist die ganzheitliche und totalitäre Vorstellung einer singulären Identität. Es mag zwar Menschen geben, die, wenn sie nachts fett umherirren, Stunden damit verbringen einen Würstelstand zu finden, die meisten von uns aber geben sich auch mit einem Döner, einer Pizza oder dem nahegelegenen Asiaten zufrieden.



Die Theoretikerinnen nennen diesen Effekt „partikulare Identität“. Klingt kompliziert, verweist aber auf nicht mehr als auf den Umstand allein, dass wir als Subjekte verschiedenartige Konzepte von Identitäten in uns vereinen und mit verschiedenartiger Gewichtung nach Außen hin gerichtet präsentieren und repräsentieren. Fragen wir den Besitzer unseres Würstelstands, was er unter Identität versteht, dann bekommen wir vielleicht als Antwort: „Männlich, stolzer Besitzer einer Gemeindebauwohnung in Florisdorf, Mitglied im Schützenverein und achja, seit 25 Jahren verheiratet.“
Würden wir die anderen Menschen in der Schlange fragen, so würden wir wiederum ganz andere Antworten erhalten. Dem Horrorszenario folgend, dass wir uns vielleicht sogar im 7. Bezirk an einen veganen Würstlestand verirrt haben, würden die Antworten wahrscheinlich sogar komplett anders ausfallen als beim unseren florisdorfer Urwiener - auch wenn eine Studentin aus Japan die beiden primär erstmal beide als Österreicher kategorisieren würde und damit auf einen Moment kollektiver Identität verweist, dem die beiden angehören: Der konstruierten nationalen Identität als Österreicher. Oder wie Sebastian Kurz sagen würden: #stolzdrauf.

Viele Konflikte sind demgemäß Konflikte in denen Individuen oder Kollektive Teile ihrer Identität zum singulären Merkmal erheben und andere Individuen und Kollektive dergestalt hierarchisieren und diskriminieren. Auch dies lässt sich ganz leicht und wunderbar am Würstelstand beobachten. Wenn ich dort stehe und dem hinter mir Stehenden mal ordentlich eine mitgebe, weil er meine Meinung nicht teilt, dass es auf dieser Welt nur Käsekrainer geben sollte und das dieser Stand hier im (bitte einen Bezirk nach Wahl einsetzen) sowieso der einzig wirklich Richtige Würstelstand in Wien ist, dann zeigt das erstmal, das ich ein Arschloch bin. Auf der anderen Seite zeigt es aber auch, dass mir Käsekrainer und das Gefühl der Zugehörigkeit zu diesem einem Stand so wichtig sind, dass ich sie über andere Teile meiner Identität setze und als singulären Moment nach außen hin repräsentiere. Auch, wenn die Repräsentation mit der Faust eine doch sehr grindige ist.

Es zeigt aber auch, dass Menschen, die ihre Identität oder das Kollektiv dem sie sich zugehörig fühlen, derart singulär repräsentieren, nicht um andere Konzepte wissen. Na klar weiß ich, dass ein Frankfurter auch mal leiwand sein kann und das der Stand direkt nebenan die besseren Semmeln hat. Ich versuche diese Momente des Wissens aber bewusst zu vergessen, damit die anderen Konzepte ihre Dominanz entfalten können.

Und so endet unsere Nacht am Würstelstand. Aber folgen wir kurz noch einer ahnungslosen Passantin, die die Szenerie passiert. Was würde sie sehen? Wahrscheinlich nur ein paar Proleten, die sich auf die Goschen hauen, weil der eine nicht einsehen will, dass ein Frankfurter ebenso leiwand sein wie ein Käsekrainer und einen Typen der sich die Hose vollgekotzt hat.

Proleten und Asoziale, die Nachts um 2 Uhr am Würstelstand herumhängen bleiben sie für die Frau in diesem Moment aber alle. Das ist dann wiederum der Moment kollektiver Identitätszuschreibung. Mal ganz davon abgesehen, dass ich in Wahrheit doch Piefke bin...

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