Dienstag, 28. Februar 2012

„Dresden burning in the night. Coventry is still alight“ Über die Verarbeitung des zweiten Weltkrieges als nihilistischer Kulturkrieg in der Musik von „Egotronic“ und „Death in June“






"Wollt Ihr den totalen Krieg ? Wollt Ihr ihn, wenn nötig, totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt erst vorstellen können ?“

Als Josef Goebbels die obigen Worte seinem Publikum am 18. Februar 1943 im Berliner Sportpalast entgegenbrachte, hatte das, was er in diesem prägnanten Satz formulierte, schon weltweit Gestalt angenommen und nicht nur den europäischen Kontinent, sondern insbesondere den Asiatischen in einen Vorhof der Hölle verwandelt.

Der zweite Weltkrieg zeichnete sich während seines gesamten Verlaufes nicht nur durch eine und in dieser Form erstmalig nachweisbare, extreme Verzahnung von Industrie und Kriegsmaschinerie aus, sondern auch durch eine, um in goebbelschen Duktus zu bleiben, totale Inklusion der Zivilbevölkerung in das Kriegsgeschehen. Diese totale Inklusion vollzog sich allerdings nicht nur ausschließlich auf wirtschaftlicher Ebene, sondern sie bestand vielmehr in der vollständigen Nihilierung der Grenze zwischen der Gruppe der Soldaten und der der Zivilisten.
Während sich die massiven Zerstörungen innerhalb des ersten Weltkrieges immer noch unter dominierend strategischen Prämissen vollzogen hatten und somit Schaden an der Zivilbevölkerung zwar billigend in Kauf genommen hatten, nicht aber von ihrem grundlegenden Prinzip her fokussierten, so gestaltete sich dies im zweiten Weltkrieg grundlegend anders.
Im Gegensatz zum Westfeldzug, der großteilig die Vernichtung des Körper des Feindes in Manifestation seiner Armeen zum Ziel hatte, war der gesamte sowjetische Feldzug sowohl auf die Vernichtung dises feindlichen Körpers, als auch auf die Vernichtung seiner gesamten sozio-ökonomischen Lebensbedingungen ausgerichtet.
Einen bitteren Vorgeschmack auf dieses Prinzip der Kriegsführung, das die Vernichtung gesamter Kulturen, die summierend unter dem nationalsozialistischen Begriffskonstrukt des „Judabolschewismus“ gefasst wurden, hatte der Polenfeldzug 1939 gegeben. Am Ende des zweiten Weltkrieges hatte Polen 55 Prozent seiner Anwälte, 40 Prozent seiner Ärzte und ein Viertel seiner Universitätsprofessoren verloren. Der Feldzug im Osten war von Beginn an nicht als reiner Krieg zu Gewinnung von Boden angelegt, sondern diese Aneignung ging stets einher mit einer rigiden ethnischen, rassistisch motivierten, Säuberung.
Der zweite Weltkrieg fokussierte somit als erster Krieg im extremen Maße die Zerstörung jeglicher Manifestationen von Kultur.
Ihre extremste und schlimmste Ausformung, so schwer es ist, unter all dem Leid eine Abstufung zu unternehmen, fand dieses Prämisse in den Bombardierungen. In den Jahren seit dem ersten Weltkrieg hatte sich die Luftfahrt und auch die industrielle Herstellung des Geräts für diese Zwecke rasant entwickelt und es allen großen Kriegsparteien ermöglicht auf diese schrecklichen Waffen als eigene bedeutende Waffengattung zurückzugreifen. Im Gegensatz zum ersten Weltkrieg erfolgten Bombardierungen im zweiten Weltkrieg nicht nur fragmentarisch an einigen Frontabschnitten, sondern großflächig und nicht nur auf unmittelbar in die Konflikte involvierte Krisengebiete.
Erste unrühmliche Belege für diese Art der Zerstörung lassen sich wiederum am deutschen Feldzug gegen Polen aufzeigen. Die Stadt Warschau verlor während der ersten Phase des zweiten Weltkrieges rund 10% seiner Gebäude. Darunter viele historische Bauten und Denkmäler.
Aber auch im Westfeldzug, insbesondere im dominierend mit Luftkampfverbänden geführten Krieg zwischen dem Dritten Reich und dem Vereinigten Königreich, lässt sich eine Spirale der Gewalt aufzeigen, die letztendlich in der Zerstörung von rein kulturellen Gütern ohne jeglichen strategischen Nutzen gipfilte und somit in ihrer grundlegenden Form nur noch blanker nihilistischer Terror war. In Bezug auf die Zerstörung die sich dabei vorrangig auf die Kultur des als Gegner definierten richtete sind dabei, in Bezug auf obig ausgeführten Konflikt die Bombardierungen Lübecks von Seiten der Royal Air Force und der deutsche Gegenschlag, der die Städte York, Exeter und Bath dem Erdboden gleich machte, zu nennen. Diese, von den Engländern „cultural bombing“ titulierte, Form der Bombardierung wurde zum Ende des Kriegsverlaufes von den Alliierten immer stärker zum Einsatz gebracht. Städte wie Dresden oder Würzburg, dass noch im März 1945 schwer bombardiert wurde, tragen davon bis heute Zeuge.

Es sei an dieser Stelle dahingestellt und soll auch gar nicht endgültig Beantwortung finden, ob die Flächenbombardements ziviler und vor allem kultureller Objekte von Seiten der Alliierten die Moral und den „Willen zum Endsieg“ der deutschen Bevölkerung brach und somit entscheidend zur Beendigung des zweiten Weltkrieges beitrug oder ob diese Bombardierungen eher im Sinne einer extremen Manifestation des Krieges und aller damit einhergehenden Zerstörungen anzusehen sind, eine Art des alles verschlingenden Nichts.

Ganz unabhängig von diesen Fragen ist selbstverständlich und das sei an dieser Stelle eindeutig betont, dass die Methoden der Bombardierung auf Seiten der Deutschen, als auch der Alliierten zwar formal gleich geartet waren, jedoch keineswegs aus gleicher Motivation heraus erfolgten! Während erstere die Welt unter dem Banner des Hakenkreuzes unterjochen wollten, ging es den letzteren darum, die Welt von eben dieser Gefahr und aller damit einhergehenden Grausamkeiten zu befreien !

Und auch wenn die im vorletzten Absatz aufgeworfenen Fragen an dieser Stelle nicht beantwortet werden können, so markieren sie doch in ihrer Ausformung zwei Pole, die prägend für die Art der Bearbeitung des zweiten Weltkrieges innerhalb der aktuellen musikalischen Subkultur sind.

Auch wenn die deutsche Band „Egotronic“, Begründer einer Art Pop-Elektro-Punk, und die englische Band „Death in June“, umstrittene Begründer und Ikonen des Apocalyptic Folk und des Material Industrial, auf den ersten Blick nichts an Gemeinsamkeiten aufweisen, so ist das,as ihren Bearbeitungen zu Grund liegt, doch aus dem gleichen historischen, und obig dargestellten, Ereignissen gespeist. Während die Band „Death in June“ seit nun über 30 Jahren in ihren Liedern den zweiten Weltkrieg als Ende aller Menschlichkeit und allen Seins romantisiert und ästhetisiert, so sind es „Egotronic“ die in ihren Sprechgesängen den Strategien „Sir Arthur Harris“ huldigen und immer wieder betonen, dass Deutschland sich damals seiner kollektiven Schuld entzogen habe und somit eine faschistische Gesinnung bis heute in seiner Kultur erhalten konnte.

Diese Art der Gleichstellung der künstlerischen Bearbeitung, klingt zunächst abwegig. „Death in June“ werden seit Jahren in ihrem Verhalten gegenüber faschistischer Ästhetiken kritisiert und werden von der extremen Linken seit jeher als eine Art intellektuelle rechtsextreme Avangardeband dargestellt. „Egotronic“ für ihren Teil hingegen sind zutiefst in dieser Szene der extremen Linken verankert und gelten mit ihren Texten als eine Art Sprachrohr der „Antideutschen-Szene“, ganz davon abgesehen, dass sie es, durch ihre Popularität bedingt, geschafft haben, ihre Ideologie großflächig und extrem Massenwirksam zu verbreiten. Lieder wie „Raven gegen Deutschland“ sind seit Jahren in vielen Diskotheken gern gespielte Songs, ganz davon abgesehen, dass sie die kulturelle Hegemonie in Deutschland scharf kritisieren.

So unterschiedlich beide Künstlergruppen und ihre Ausarbeitungen letztendlich sein mögen, so begründen beide ihre künstlerischen Bearbeitungen in der zuvor dargestellten Ausformung des zweiten Weltkrieges als einem Krieg gegen die Kultur. Interessanterweise formuliert sich dieser Bezug nicht nur in den jeweiligen Inhalten der einzelnen Liedern, sondern er spiegelt sich auch direkt und unmittelbar in den Techniken der Soundgestaltung wieder. Sowohl „Death in June“ als auch „Egotronic“ nutzen historische Sampel zur Kreation einer Grundatmosphäre, auf die das jeweilige Lied aufbaut. Im Falle von „Egotronic“ zum Beispiel eine Radioansprache von Sir Arthur Harris zu Beginn des Liedes „Von nichts gewusst“ aus dem Album „Die richtige Einstellung“. Bei „Death in June“ ist eines der prägnantesten Beispiel für diese Technik das gleichnamige Titelstück des Albums „brown book“, dass eine acapella Version des Horst-Wessel Liedes mit verschiedenen Sampeln, dominierend aus dem Fernsehfilm „Die Welt jenen Sommer“ vermischt.




Die Intention hingegen die die beiden Künstlergruppen jedoch beseelt ist, trotz ähnlicher künstlerischer Strategien aber eine völlig andere. „Death in June“ benutzten den zweiten Weltkrieg und im Besonderen dessen extreme Formen der Vernichtung von kulturellen Manifestationen zu Beginn ihrer Karriere als einen Moment der Provokation, der weit über das Tragen von Hakenkreuz T-Shirts hinausging. Lieder wie „We drive east“, die den Russlandfeldzug aus Sicht deutscher Landser beschreibt und mit dem treibenden Beat von Militärtrommeln unterlegten, tragen hiervon Zeuge. Im späteren Verlauf ihrer Karriere aber formten „Death in June“ diesen von ihnen verwendeten Moment immer mehr hin zu einem Konzept, dass den zweiten Weltkrieg allgemeingültig zu einem Moment einer alles verschlingenden und vernichtenden Kraft umdefinierte. Einhergehend mit dieser Umformung ist eine Loslösung dieses Konzeptes von seinem konkreten historischen Bezug zu beobachten. Wenn „Death in June“ anno 2011 in einer Neuvertonung des Liedes „cést un réve“ die Zeilen „Ou est Klaus Barbie? Ou est Bin Laden? Ou est Gadafi?“ singen, so wird dabei nur noch entfernt auf die konkreten historischen Taten des „Schlächters von Lyon“ Klaus Barbie genommen, sondern Barbie verkommt, neben dem getöteten Al-Kaida Oberhaupt Bin Laden und dem getöteten lybischen Machthaber Gadafi, zu einer Quelle, in der diese alles vernichtende Kraft und Energie, die die Grausamkeiten des zweiten Weltkrieges speiste verortet werden kann. Da diese Umformung, die sehr gut mit der Simulakrum-Theorie von Jean Baudrillard zu beschreiben und zu erklären ist, bei „Death in June“ immer mit einer starken Romantisierung und Ästhetisierung einherging, wird das Schaffen von „Death in June“ immer dann missverständlich, wenn innerhalb der Rezeption die großteilig enthistorisierten Elemente einer Rehistorisierung unterzogen werden und in einen dezidiert politischen Kontext übersetzt werden.
Da „Death in June“ sowohl inhaltlich als auch musikalisch als Wegbereiter des „Apocalyptic Folk“ und, wenn auch in geringerem Maße, dem „Material Industrial“ angesehen werden müssen, so muss an dieser Stelle festgehalten werden, dass sich ähnliche geartete Bezüge auf den zweiten Weltkrieg queer durch die künstlerischen Manifestationen dieser beiden Subkulturen aufzeigen lassen. Auch ist die beschriebene Problematik innerhalb der Rezeption immer wieder Stein des Anstoßes, da dass was als Provokation geplant, in seiner repolitisierten Rezeption oftmals mit einer Affirmation verwechselt wird.

Bei „Egotronic“ ist ein solcher Moment der Enthistorisierung zwar durchaus ebenfalls zu beobachten, allerdings vollzieht sich die Verwendung der Elemente konträr zu der Verwendung „Death in Junes“. Die Lieder von „Egotronic“ sind von Beginn an auf eine politische Rezeption ausgelegt und lassen sich in ihrem vollen Sinn nur unter Bezugnahme auf politische Konzepte und Ideologien erschließen. Lieder wie „Nicht nur Raver“ mit seinen Zeilen wie „Du fragst mich was ich will, ich sag: „Moment, das ist nich ohne". Gib mir ein Feuerzeug, dann brennt erst Mügeln und danach die ganze Zone“ aus dem Album „Lustprinzip“, sind nicht ohne konkretes Wissen der Pogrome von Rostock und Mügeln und deren Stellenwert für die Antideutsche-Szene, zu entschlüsseln. Die Werke von „Egotronic“ sind hierbei zwar Provokant, nicht aber in gleicher Art wie die „Death in Junes“. Vielmehr entspringt der Moment der Provokation bei „Egotronic“ aus den radikalen politischen Ansichten, die sie unmittelbar in ihren Texten darlegen. Wichtig hierbei ist, dass es sich bei diesen Ansichten keineswegs um vollständig neuartige Zugänge handelt. Auch wenn die Strömung der „Antideutschen“ innerhalb der radiaklen Linken erst in den 2000er Jahren an essentieller Bedeutung gewann. Vielmehr finden sich die von „Egotronic“ in ihren Texten kritisierten Aspekte schon in Schriften Karl Jaspers aus dem Jahr 1946, als über ein halbes Jahrhundert vor der popkulturellen Bearbeitung unter zur Hilfenahme von harten Electrobeats. Hierbei ist im Besonderen der Essay von Jaspers „Die Schulfrage“ aus dem Jahr 1946 beachtenswert, auch wenn ihm in der Bundesrepublik Zeit seines Erscheinens wenig Beachtung zukam. In diesem Essay verhandelt Jaspers eine Art der „metaphysische Schuld“, die der deutschen Volksgemeinschaft ihren Ursprung findet und somit das deutsche Volk zu Täter, unabhängig der konkreten Bestrafung ihrer politischen Führer, erhob. Auf diese Form der „Kollektivschuld“ nehmen „Egotronic“ innerhalb ihrer Lieder immer wieder Bezug, auf wenn diese Bezugnahme eher diffus und wenig an konkret definierten Begriffskonzepten erfolgt. Wichtig ist hierbei zudem, dass die Schuldzuweisung immer in Zusammenhang mit der These einer „deutschen Ideologie“ vollzogen wird. Die genaue Begriffsdefinition ist hierbei zumeist wieder mehr als Diffus, was an dieser Stelle aber nicht weiter von Bedeutung ist. Von Bedeutung hingegen ist, dass diese „deutsche Ideologie“ in eine historische Perspektive unter der Annahme der Kontigenz integriert wird. Sprich, es wird simpel und undifferenziert davon ausgegangen, dass die Deutschen sich seit dem zweiten Weltkrieg in ihrem wesentlichen wenig bis gar nicht ge- oder verändert haben. Mit Sampeln in Lieder wie „Exportschlager Leitkultur“ aus dem Album „Die richtige Einstellung“ formulieren diese Kontingenz nicht nur in ihrem Titel, in dem ein Fortbestehen faschistischer Ideologie in der Debatte um eine deutsche Leitkultur verortet wird, sondern sie nutzten erneut zu Beginn des Liedes ein Sampel indem „den Deutschen“ konkret der Vorwurf gemacht wird, dass „sich bei ihnen nichts geändert habe“ und sie immer noch „verdammte Faschisten“ sein.
Die Enthistorisierung dient bei „Egotronic“ also nicht, wie bei „Death in June“ zur Schaffung künstlerischen Symboliken für den apocalyptischen Untergang von Kulturen, sondern er dient vielmehr zur Schaffung von Symboliken die ein Fortbestehen von faschistischer Ideologie in der Kultur Deutschlands belegen sollen.

Und letztendlich finden sich bei „Egotronic“ auch Bezüge die uns zu den anfänglichen Darstellungen dieser Schrift zurückführen: Bezüge auf das als „cultural bombing“ definierte Phänomen, in dem der Krieg gegen die Kultur seine schrecklichste Manifestation fand. Während „Death in June“ diese Bombardierungen, die sich gezielt gegen kulturelle Manifestationen wie Bibliotheken, Kirchen, Denkmäler und Gebäude der Zivilbevölkerung richteten zu Symbolen der absoulten, allumfassenden, nihilistischen Zerstörung umdefinierten, so sind es „Egotronic“ und die „Antideutsche-Szene“ die in diesen Bombardierungen den einzig legitimen Umgang mit „deutscher Ideologie“ suchen und augenscheinlich gefunden haben. Demoparolen wie „Bomber Harris hilf uns doch, Deutschland gibt es immer noch!“ tragen von der Enthistorisierung und Umdefinierung zeuge.
Und so kommt es, dass „Bomber Harris“ und die Ausformung des zweiten Weltkrieges als ein Krieg gegen die Kultur zu einem wichtigen Teil aktueller Subkultur umgeformt wurden. Die Frauenkirche ist zwar wieder aufgebaut, an Arthur Harris erinnert nur noch eine Statur in London, aber in den Köpfen vieler Menschen fallen die Fliegerbomben unabänderlich, wenn auch nicht mehr zum Zweck der Niederschlagung des Nationalsozialismus anno 1945.

Quellen:

Jaspers, Karl: Die Schuldfrage, Heidelberg, 1946
Traverso, Enzo: Im Bann der Gewalt. Der europäische Bürgerkrieg 1914-1945, München, 2008
Burkhardt, Torsun; Kulla, Daniel: Raven wegen Deutschland. Ein Doku-Roman, Mainz, 2011

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