Samstag, 20. Juli 2013

Zurück zu den Wurzeln der Zukunft Au Bout Du Monde - The Jules Verne Compilation



Es gibt literarische Figuren, deren Geschichten so oft erzählt wurden, dass sie einem nicht mehr vorkommen wie Fiktionen, sondern wie immer dagwesene Begleiter. Der, die Tiefsee bereisende Kapitän Nemo ist mit Sicherheit eine dieser Figuren. Ein rätselhafter Mann, der Jung wie Alt gleichermaßen begeistert, gerade weil seine Geschichte in all ihrer symbolischen Konnotation die komplexen Schwierigkeiten des modernen Subjekts im Angesicht des rasanten technischen Forschritts verkörpert und das, obwohl das Werk “20.000 Meilen unter dem Meer” erstmalig im Jahr 1869-1870 erschien.

Es sind neben diesen komplexen Charakteren die schillernden Welten und die technischen Raffinessen, welche immer wieder dafür sorgen, dass das Werk Jules Vernes einen in seinen Bann zieht. Einem Bann, dem sich auch eine ganze Riege großartiger Künstlerinnen und Künstler nicht entziehen konnte und die nun ihre Ergebnisse in Form der “Au Bout Du Monde - The Jules Verne Compilation” präsentieren – eine Art musikalische Auseinandersetzung mit den Wurzeln der Ästhetik des Steampunk.
Die Schar der Beteiligten erstreckt sich dabei von altgedienten Helden des Post-Punk, wie Tony Wakeford (Sol Invictus), über hoffnungsvolle New-Comer Bands, wie :MARS:, bis hin zu bislang eher weniger in Erscheinung getretenen, dafür aber umso überragenderen Projekten, wie zum Beispiel THE TRAIL.


Musikalisch spannt die Compliation dabei einen beindruckenden und facettenreichen Bogen, was, vorrausgesetzt der eigenen Offenheit gegenüber solch einer Ausrichtung, dazu führt, dass die musikalische Reise, die das Album initiiert, selbst wie eine wilde Fahrt mit Nemos legendärem Uboot “Nautulius” anmutet. Ruhige Folknummern wechseln mit krachigem Material, verspielte Gothic-Nummern mit experimentellen Stücken. Immer aber ist es die inhaltliche Konzentration auf Jules Verne und damit auch auf die Interdependenz zwischen Mensch, Industrie und technologischen Artefakten, die das Wesen der Compilation maßgeblich bestimmt.


Au Bout Du Monde - The Jules Verne Compilation ist in seiner Gesamtheit eine sehr spannende Zusammenstellung, gerade auch weil sie vielen bislang weniger bekannten Künstlerinnen und Künstlern die Chance gibt sich zu präsentieren.

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Die Dystopie als Utopie? Trent Reznor und die NINE INCH NAILS

Nichts bewahrt uns so gründlich vor Illusionen wie ein Blick in den Spiegel.“
-Aldous Huxley-




No Future!? Es ist die Vorstellung von der Stagnation der Geschichte - die Idee, dass sich nichts mehr ändern kann und auch erst recht nicht mehr wird, die die verschiedensten Subkulturen nach dem Ende des zweiten Weltkrieges zutiefst prägte. Wo das Credo der Punks zur selbstgefälligen Rechtfertigung wurde, da war es die Kultur des Industrial, die in ihren Performances die Horrorszenarien einer hochtechnisierten Ordnung künstlerisch ver- und bearbeitete.
Theorien, wie dass die technische Entwicklung der Moderne geradewegs hinein in die Kanonenrohre der Weltkriege und die Öfen der Konzentrationslager führten, bildeten Momente, die Gruppen wie „THROBBING GRISTLE“ konsequent zum Thema ihrer künstlerischen Agenda erhoben. Die Vorstellung von der Zivilisierung als endgültiger Befriedung – eine enttäuschende Illusion!
Doch auch wenn die dystopischen Vorstellungen vom Ende der Geschichte uns immer wieder aufs Neue faszinieren, so gibt es immer noch DenkerInnen, deren Überlegungen fest in der utopischen Überzeugung wurzeln, dass sich eines Tages alles grundlegend ändern könnte. Der Philosoph Alain Badiou gehört zu diesen Denkern und seine Vorstellungen von der Veränderung kumulieren im Begriff des Ereignisses:

Ein Ereignis ist für mich etwas, das eine Möglichkeit erscheinen lässt, die unsichtbar oder sogar undenkbar war.“1

Was aber verbindet die Dystopie des Industrial, die NINE INCH NAILS (NIN) und Badious Vorstellungen vom Ereignis? Mehr, als vorerst anzunehmen ist!

Trent Renzor, Begründer und einziges permanentes Mitglied der NIN, hat bei Weitem keinen Grund sich zu beschweren. Seine Musik wurde mit den höchsten Musikpreisen ausgezeichnet und verkaufte sich von Beginn an sensationell gut.
Johnny Cash coverte das Lied „HURT“ von Reznors Opus Magnum „THE DOWNWARD SPIRAL“ und prominente Musiker, wie Dave Grohl, sind Gäste auf aktuelleren Alben. Im Jahr 2011 folgte ein weiterer Höhepunkt: Die Musik zu David Finchers „THE SOCIAL NETWORK“, die Reznor zusammen mit Atticus Ross komponiert hatte, erhielt einen Oscar.
Zur Zeit sind es wohl die immer wieder aufkommenden Gerüchte, dass das Werk „YEAR ZERO“ der NIN aus dem Jahr 2007 für den Sender HBO in eine Mini-Serie verwandelt werden soll, die nicht nur Musik- sondern auch Filmfans aufhorchen lässt.
Jedoch ist es nicht der Erfolg oder die Sehnsucht nach Rum und Anerkennung, die Raznor antreibt, sondern seine radikale und kompromisslose Wut, als Resultat der eigenen Ohnmacht und zugleich sein Glaube und Wunsch nach Veränderung.
Früh findet diese Attitüde im Werk „THE DOWNWARD SPIRAL“ ihren brachialen Ausdruck. Im Song „PIGGY“ formuliert Raznor wie folgt:

„Nothing can stop me now
I don't care anymore“

Die Zeile „Nothing can stop me now“ taucht dergestalt noch in vielen weiteren Songs der NIN auf und kann zurecht als die zentrale Botschaft des gesamten Oeuvres angesehen werden; gerade weil sie in dualistischer Funktion auf die Wurzeln der NIN verweist, zugleich aber immer auch einen Moment der Utopie transportiert.

Immer wieder wird das Schaffen der NIN in Bezug zu Gruppen wie „THROBBING-GRISTLE“ oder „SPK“, gesetzt. Was hierbei jedoch klar sein sollte, ist, dass die NIN ideell, wie musikalisch, der Band „MINISTRY“ immer näher standen, als den experimentellen Geräuschorgien von Genesis Breyer P-Orridge und Co. Was die NIN mit dem Industrial aber wiederum eint, ist der Modus der Kritik: Wenn Diedrich Diederichsen vom Pop als einem Ort spricht, indem Männer ihre Liebe zu Frauen besingen, dann verweist diese Hypothese auf eine wichtige Tatsache, nämlich die, dass Kritik im Pop ein ziemlich unerwünschter Faktor ist und höchstens in solch pathetisch „subversiven Dimensionen“ wie dem letzten UNHEILIG Hit zu denken ist, der die ganze Familie gemeinsam vor dem heimischen Radio vereint.
Es ist die radikal pessimistische Aggression gegenüber der gesellschaftlichen Ordnung, die sich bei den NIN ganz im Geiste des Industrial vollzieht, gepaart mit dem Glauben, dass sich eines Tages doch noch alles ändern könnte. Eben jener Gestus der seinen kompromisslosesten Ausdruck in der Zeile „Nothing can stop me now“ findet!

Auch wenn sich diese inhaltlichen Momente, gerade in ihrer monumentalen musikalischen Inszenierung, zum Teil nicht dagegen erwehren können, in Naivität, Kitsch und Pathos zu verfallen, so ist es die inhaltliche Gesamtheit, die den Glauben und Hoffnung weckt, dass es Reznor wirklich ernst um das ist, was er mit seiner Musik zum Ausdruck bringt: Die Hoffnung, ganz im Sinne Alain Badious, dass sich eines Tages etwas unvorhersehbares ereignet, dass alles ändern könnte. Gepaart mit dem Blick des Künstlers in den Spiegel, der die NIN vor allzu viel Utopie befreit und der sich in ihrem Werk immer wieder im großen Unbehagen über den gesellschaftlichen, wie individuellen, Status Quo niederschlägt. Die NINE INCH NAILS sind eines der wichtigsten popkulturellen Phänomene der letzten Jahrzehnte. Gerade weil sie einen Gedanken in den Pop getragen haben und seitdem immer wieder aufs Neue ausformulieren und ihrem Publikum entgegenschreien: Der Status Quo ist nicht das Ende der Geschichte!
Der arabische Frühling, Griechenland, die Türkei und Brasilien haben es längst gezeigt: Die philosophische und musikalische Idee vom Umbruch ist nicht längst keine Illusion mehr...

Nothing can stop us now!




1Badiou, Alain; Tarby, Fabien: Die Philosophie und das Ereignis. Mit einer kurzen Einführung in die Philosophie Alain Badious, Wien, 2012 S.17