Mittwoch, 11. Januar 2012

„Aggro Berlin“ und die Rebellen, die eigentlich nie welche sein wollten

Gesellschaft ändert dich –
„Aggro Berlin“ und die Rebellen, die eigentlich nie welche sein wollten

Als der Berliner Rapper „Bushido“1 im November 2011 den „Bambi für Integration“
erhält ist der Aufschrei groß. Noch am selben Abend, während der Gala empört sich
der Sänger der Band „Rosenstolz“, Peter Plate, über das „nicht korrekte“ Verhalten,
was in der Verleihung eines solchen Preises gegenüber „Bushido“, einem in Plates
Augen Erschaffer und Propagandisten menschenverachtender Lyrics, zum Ausdruck
kommt. Und schon am nächsten Tag zerrte die „Bild“ den Schlagersänger Heino aus
seinem Rathauscafé in Bad Münstereifel in das Licht der bundesrepublikanischen
Öffentlichkeit, um an dessen Reaktion auf die Verleihung des Preises an „Bushido“,
nämlich die Rückgabe seines eignen Preises von anno dazumal, nochmals in voller
Länge alle Kritik durchzuexerzieren, die dem deutschen Gangster-Rap seit Beginn
seiner Entwicklung immer entgegengebracht wurde.
Doch ist der Diskurs, den die „Bild“ erneut formuliert, einer der die Entwicklung und
die gesellschaftlichen Strukturzusammenhänge der letzten Jahre völlig verkennt und
zudem vollständig missinterpretiert. Die Verleihung des „Bambi für Integration“ an
den Rapper „Bushido“ der zu diesem Zeitpunkt schon lange nicht mehr beim Label
Aggro Berlin, das sich zudem im Jahr 2009 selbstaufgelöst hatte, unter Vertrag
steht, markiert nicht einen erneuten Kommulationspunkt eines gesellschaftlichen
Diskurses um das Gerne des Gangster-Rap, der immer wieder an den gleichen
Akteuren festgemacht wird. Nein, die Verleihung symbolisiert vielmehr höchst
ikonografisch das Ende einer langen Entwicklung. Die gesellschaftliche Akkulturation
und Assimilation des deutschen Gangster-Rap, für den „Aggro Berlin“
versinnbildlichend steht. Der Bambi verändert unter der Prämisse einer solchen
Entwicklung seinen konkreten Bezugspunkt. Gleichfalls wird das Handeln des
Rappers „Bushido“ stellvertretend für alle anderen Rapper, die eine identische
Entwicklung innerhalb der letzten Jahre vollzogen haben, symbolisch aufgewertet. Im
Sinne des französischen Philosophen Jean Baudrillards wird sowohl der Bambi, als
auch „Bushido“ zum Simulakrum der Simulation. Ihr originärer Sinn verflüchtigt sich
innerhalb der Reproduktion und wird durch gesellschaftliche Zuweisungen neu
besetzt. Nicht eine subjektbezogene Handlung des Rappers Bushido, bezüglich des
Feldes der Integration, findet Honorierung durch die Verleihung, vielmehr wird das
gesamte Handeln einer Personengruppe und deren Assimilation in den
gesellschaftlichen Normalzustand symbolisch belohnt. Der Bambi wandelt sich
hierbei vom konkreten Symbol hin zu einer symbolischen Belohnung der
Gesellschaft, die ihre einstigen Abtrünnigen in ihrer „Mitte“ willkommen heißt.
Interessanterweise wird dieser Prozess während der Verleihung nicht nur
symbolisch, auf einer Metaebene vollzogen, sondern sowohl vom Symbol Bushido,
als auch vom Laudator Peter Maffay, selbst betont und teilweise sogar reflektiert. Das
Maffay innerhalb dieser Konstellation, Grund seines Werdegangs in der deutschen
Gesellschaft, dabei genauso Symbol ist wie „Bushido“, dürfte klar sein. Maffay steht
nochmals versinnbildlichend für das, wofür „Bushido“ stellvertretend belohnt wird: Die
Vergesellschaftung des Subjektes und die damit einhergehende Auflösung, Revision
und Nihilierung des eigen Rebellionsgestus. So betont Maffay während seiner
Laudation, dass ein solcher Preis „Versöhnung und Neubeginn“ sei. Maffay betont
damit letztendlich den Moment der Transgression der diesem gesamten Prozess
innewohnt. Der Preis als Zeichen für den Beginn des Lebens in der Gesellschaft und
einen der Neubeginn als ein Leben nach den von der Gesellschaft gesetzten Regeln.
„Bushido“ betont diesen Moment zwar auch, indem er sich eine zweite Chance als
verdient einräumt, wobei die zweite Chance hierbei das meint, was Maffay als
Neubeginn deklariert, jedoch fokussiert der Hauptteil seiner Rede einen anderen
Aspekt, nämlich die Grundlage für die erfolgreiche Assimilation. Zentral ist hierbei
die Stelle, in der „Bushido“ betont, dass er heute sicherlich nicht mehr das gleiche
sagen werde wie vor zehn Jahren und wichtiger noch, dass er gelernt habe, dass
das Gesagte falsch sei. Das Gelernte bezieht sich hierbei, logischerweise, auf die
gesellschaftlichen Regeln, denen sich das Subjekt sowohl physisch, als auch
psychisch, unterwirft. Die Feststellung, dass das Gesagte falsch sei, ist eben dann
auch eine Schlussfolgerung, die unmittelbar aus der Vergesellschaftung des Subjekts
resultiert. Sie bricht mit alten kulturellen Manifestationen und nihiliert deren
Gegenstände. Ferner schwingt in dem Bruch zugleich ein Bekenntnis zu dieser
eigenen Entwicklung mit. Das ehemals Fremde wird total zum Eigenen. Ganz gemäß
dem simmelschen Kredo: „Ein Fremder ist ein Mensch der heute kommt und morgen
bleibt.“ Wobei das, was Simmel als Charakteristika dem Fremden zuweist, die
Gleichzeitigkeit von Nähe von Ferne und ein daraus resultierendes abstraktes
Wesen, innerhalb des Prozesses der Assimilation getilgt werden.
Dieser Prozess ist zum Einen für die Entwicklung des deutschen Gangster-Rap,
dessen populärkulturelle Wurzeln eng mit dem Werdegang des Labels „Aggro
Berlin“ verschmolzen sind, ikonisch, zum Anderen aber auch im Generellen für den
gesellschaftlichen Umgang mit Subkultur. Jedoch sei an dieser Stelle betont, dass
es sich bei dem Prozess, der sich in der ikonografischen Performance der
Bambiverleihung verdichtete, nicht um einen in sich abgeschlossenen handelt,
sondern vielmehr um einen zu allen Seiten hin offenen Prozess. So ist
Zirkulationspunkt natürlich die abgeschlossene Entwicklung eines Teils der Gangster-
Rap-Subkultur, andererseits zeigt der Prozess aber auch stereotyp einen Werdegang
für andere Gesellschaftsgruppen auf. Die Performance der Verleihung und die
verschiedenen gesellschaftlichen Prozesse, die diese auf ihren Metaebenen abbildet,
sollen zugleich symbolisch einen Prozess in seiner Gesamtheit beschreiben.
Polemisch ließe sich die Gesamtheit dieses Prozesses, bei dem es sich letzten
Endes um eine totalitäre Assimilation dessen, was von der Gesellschaft als das
Fremde definiert wird, handelt, in dem Satz zusammenfassen: Werdet wie wir und
ihr werdet belohnt. Wobei die Belohnung für den Vollzug dieses Prozesses dann
nicht im Bereich von Preisen liegt, sondern sich um Felder wie gesellschaftliche
Anerkennung, Akzeptanz, Partizipation in der Gesellschaft dreht.
Um die Wurzeln dieser Entwicklung noch anschaulicher fassen zu können und auch
um eine grundlegende Besonderheit der Subkultur des Gangster-Rap aufzeigen zu
können, sollen im folgenden einige Worte zur Entwicklung „Aggro Berlins“ vorgelegt
werden, dessen grundständige Struktur bereits im Titel dieses Essays – von der
Rebellion zur Assimilation- in Worte gefasst wurde.
Im Jahr 2001 gründeten die Künstler „Spectre“, „Spaiche“ und „Halil“ das
Independent Label „Aggro Berlin“. Während die Namen der Männer hinter dem Label
in der Öffentlichkeit weites gehend unbekannt geblieben sind, sind es die vom Label
geformten Charaktere2, die dominierend über ihren musikalischen Output und ihre
mediale Inszenierung, „Aggro Berlin“ von Beginn zum Objekt eines interpersonellen
Diskurses machen. Das Grundkonzept des Labels und somit all seiner kulturellen
Manifestationen ist hierbei ein ganz ähnliches wie es den Werken des französischen
Literaten Jean Genet zu eigen ist. Genet formuliert diesen Ethos in seinem Werk
„jornal du voleur“ wie folgt:

„Je größer schließlich meine Schuld in Euren Augen sein wird, je vollständiger, je
vorbehaltloser ich mich zu ihr bekenne, desto größer wird meine Freiheit sein.“

Und es ist die Ästhetisierung des, von der Gesellschaft dem Subjekt aufgebürdeten,
Elends, die der Philosoph Max Bense in seinem Vorwort zum zitierten Werk zu einem
Prinzip des menschlichen Seins aufwertet, wenn er davon spricht, dass jede
existentielle Lage eine Ruhelosigkeit des Geistes bewirkt und erschafft, die des
Ausdrucks bedarf. Eben dieser Ausdruck des ruhelosen Geistes, erschaffen aus
existentiellen Lagen, ist es dann auch, der sich in allen Manifestationen „Aggro
Berlins“ wiederfindet und dessen ästhetisierte Ausformungen immer das Zentrum
aller Kritik am Gangster-Rap bildeten und bis heute bilden. Wird dieser Umstand der
Manifestation in Bezug zur Geschichte des deutschen Hip-Hop gesetzt, so offenbart
sich ein wichtiges Element der Differenz. Die Rapper von „Aggro Berlin“ sind zu
Beginn ihrer medialen Inszenierungen nicht in die Gesellschaft inkludiert, sondern
befinden sich allesamt in einem Status der gesellschaftlichen Exklusion. Im
Gegensatz zu solchen Formationen wie den „Fantastischen Vier“ und deren
Mitgliedern, die allesamt gefestigten Strukturen des bürgerlichen Milieus
entstammen, finden sich bei „Aggro Berlin“ Charaktere, die, um mit Ervin Goffman zu
sprechen, vielfacher Stigma unterliegen.
Jedoch und das ist eine weitere Besonderheit, illusionieren die Künstler von Beginn
an in ihren Manifestationen keine gesellschaftliche Utopie, die eine Inklusion ihrer
Selbst ermöglichen würde. Alle sind sich darüber bewusst, dass eine Inklusion Ihrer
nur über das Kapital erfolgen kann und so wird, ganz nach Marx Logik der
Akkumulation des Kapitals, von Beginn an eine hemmungslose Ästhetisierung
kapitalistischer Herrschaftsstrukturen betrieben. Gespeist aus der Hoffnung, dass
eine erfolgreiche Partizipation an diesem Prozess eine erfolgreiche
gesamtgesellschaftliche Integration bewirken kann. In diesem Handeln dem Ethos
Genets wiedersprechend, da dessen Freiheitsbegriff untrennbar an die
gesellschaftliche Exklusion gebunden ist. Dieser Wiederspruch in Verbindung mit
dem Wunsch, abgebildet in der Ästhetisierung des Kapitals, zeigt dann auch den
zentralen Punkt auf, um den es mir in diesem Essay geht: „Aggro Berlin“ und seinen
Künstler ging es niemals um Rebellion oder die Veränderung eines gesellschaftlichen
Status Quo. Ihre Rebellion ist zu jeder Zeit lediglich Ausdruck und Manifestation ihres
ruhelosen Geistes, der, wie bereits geschildert, Produkt ihrer existentiellen Identität
ist. Folglich ist somit ein Verschwinden des Moments der Rebellion, bei gleichzeitiger
Assimilation, bei allen Akteuren zu beobachten. Und so ist letztendlich auch geklärt,
warum „Bushido“ und „Sido“ im Jahr 2011 mit Peter Maffay über ihre gelungene
Assimilation, die sie als Integration definieren, im Lied „Erwachsen sein“ reflektieren.
Letztendlich sind sie im Jahr 2011 dort angekommen wo sie immer hinwollten. Die
illusionierte „Mitte“ der Gesellschaft.

Literatur:
Amend, Lars; Bushido: Bushido, München, 2008
Bense, Max: Genets Tagebuch, in: Genet, Jean: Tagebuch eines Diebes, Vastorf bei
Lüneburg, 1983
Genet, Jean: Tagebuch eines Diebes, Vastorf bei Lüneburg, 1983

Über die Inszenierung des Männerbundes in den Serien von HBO

Von den Schützengräben der Normandie über Stripclubs in New Jersey hin zu den Stahlgewittern in den Slums von Baltimore
Die Inszenierung des Männerbundes in den Serien von HBO

Als Ernst Jünger in seinem Essay „Der Kampf als inneres Erlebnis“ im Jahr 1926 den Krieg als das bezeichnete, was den Menschen zu dem mache, was er ist und als Vater einer ganzen Generation junger Menschen, die mehr oder minder unversehrt den Schützengräben des ersten Weltkrieges entstiegen waren, definierte, so bezog er sich dabei vorerst nur auf die Gemetzel des ersten Weltkrieges. Im Gegensatz zu Literaten wie Hemingway oder dem, gerade in Bezug auf die literarische Bearbeitung des ersten Weltkrieges noch bekannteren, Erich Maria Remarque, ästhetisiert Jünger die Schrecken, die Pein und die völlige Zerstörung zivilisatorischer Werte allerdings zu einer Art des „inneren Erlebnisses“, dass auf Seiten des mit den Zuständen konfrontierten Subjekts eine positive charakterliche Wandlung und Festigung hervorzurufen vermag. In eine ähnliche Richtung tendiert aber auch der genannte Hemingway, wenn er die Orte des Schlachtens in seinen Werken zu Stätten der melodramatischen Bewährung und Leidenschaft stilisiert. Auch wenn sich diese Schilderungen in deutlich kritischerer Distanz als bei Jünger vollziehen. Hinzukommt zu dieser individuellen Dimension zumeist die Zugehörigkeit des Mannes zu einem Männerbund, zum Beispiel in seiner Funktion als Soldat, so dass sich die von Jünger beschriebene geistige Evolution in seiner Gesamtheit auf den Männerbund per se übertragen lässt. Wir haben es letztendlich mit einer Gruppe Menschen zu tun, die per Definition durch das Er- und Überleben einer physischen als auch psychischen Extremsituation eine neue Stufe geistiger Reife erklommen haben und zudem  Integration in eine nach außen hin abgeschlossene Gruppe, den Männerbund, erfahren haben. Hieraus resultierend dann auch die Abgrenzung dieses Bundes zum Gros der Restgesellschaft.

Der männliche Körper im Krieg bietet somit gerade für die Bearbeitung mittels des Mediums Film zwei simple Manifestationen, die eine Fokussierung auf ihn ebenso einfach wie ansprechend gestalten. Die Thematisierung des Mikrokosmos des Männerbundes ermöglicht, simplifiziert ausgedrückt, sehr leicht einen Diskurs über gesellschaftliche Manifestationen jeglicher Art auf einer oder mehreren Metaebenen. Dies vollzieht sich dann zumeist im Vergleich „Männerbund versus Gesellschaft“. Über die Qualität eines derart geführten Diskurses sagt aber die Thematisierung allein nichts aus. Wichtiger, als dieser Zugang zu verschiedensten Metaebenen, ist allerdings die erste Ebene der Inszenierung, nämlich die bildhafte Manifestation des Krieges im Film. Der Siegener Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger definiert in seinem Werk „Ritual und Verführung“ den Krieg und somit den sich in diesem Kampf befindlichen Körper als einen Garant für packende Feuerwerke und Spektakel, zusammengesetzt aus Sensationen, Körpern und Bewegungen. Der Film, der kriegerische oder kriegsähnliche Situationen abbildet, ist hierbei die extremste Ausformung  eines  Körperkinos, wobei innerhalb des letzten Jahrzehnts eine visuelle Hinwendung zum Crédo „Mittendrin statt nur dabei“ vollzogen wurde. Der bekannteste Vertreter innerhalb dieser Entwicklung: „Der Soldat James Ryan“ von Steven Spielberg.  Ganz davon abgesehen, welch extremere Effekte das neuartige
3-D Kino noch zu erzeugen vermag.

Von der filmischen Präsentation und auch der, zur Anwendung kommenden, Ästhetik, waren die Serien des amerikanischen Senders HBO von Beginn an klar als Derivate des großen Bruders Kino erkennbar. Anders als zum Beispiel solche Serien wie „Friends“, „Ally McBeal“ oder „Emergency Room“, denen ihre Herkunft immer, dominierend aus dem geringen Budget resultierend, immer ansehen und anzumerken war. Und so verwundert es nicht, das einer der ersten sehr großen Erfolge des Senders HBO, der auch außerhalb der USA große mediale Aufmerksamkeit erregte, unmittelbar an das, im Kino gezeigte, extreme Körperkino anknüpfte. Es handelt sich dabei um die Serie „Band of brothers“. In  Deutschland zusätzlich mit dem Untertitel „Wir waren wie Brüder“ versehen, aus dem Jahr 2001. Die Serie erfüllt hierbei unmittelbar die Erwartungshaltung des Publikums an die Gattung des Kriegsfilms, die Stiglegger unter dem Begriff des Spektakels zusammenfasst. Der Männerbund und dessen Reise durch die Apokalypse des Krieges verkommen in der Serie zu einer plakativen und explosionsgeschwängerten Bebilderung dessen, was zu Beginn dieses Essays in den Worten Jüngers formuliert wurde: Der Krieg als Vater und Erschaffer.
Das Gleiche Rezept   goss HBO im Jahr 2010 dann erneut in Form der Serie „The Pacific“ auf. Wäre der Diskurs um die Gattung des „Quality TV“, der dominierend unter Bezug auf HBO geführt wird, auf diese beiden Serien zu beziehen, so manifestiert sich die Qualität lediglich in der Quantität der effektüberladenden Inszenierung dessen, was Stiglegger als die „Banalität des Todes“ bezeichnet. Der Männerbund in beiden Serien eine „Extrem-Pfadfinder-Gruppe“ auf der Reise durch die fatale Instanz des menschlichen Schicksals, dem mythischen Schauplatz der Apokaylpse – dem Schlachtfeld.
Aber auch in anderen Serien HBO's spielt der Männerbund eine zentrale Rolle in der Ausstaffierung der Handlung. So zum Beispiel in der, neben „Sex and the City“ wohl erfolgreichsten und langliebigsten, Serie des Senders: „The Sopranos“.
Bei Tony Soprano und seinen italienisch-amerikanischen Gangsterkollegen wird erneut ein Männerbund als Zentrum und Ausgangspunkt der Handlung fokussiert. Nicht umsonst treffen sich die Akteure entweder in einem Strip-Club oder vor einer Metzgerei. Beides per se Berufe des Mannes, wobei sich die Ausübung des Berufes beim Strip-Club auf das Betreiben, nicht das Tanzen bezieht. Wiedereinmal, ganz ähnlich der handlungstragenden Gruppe in der Serie „Band of brothers“, wird der Männerbund um Tony Soprano durch den Kampf definiert. Hierbei allerdings nicht in Form des zweiten Weltkrieges, sondern immer in Form, mehr oder minder akuter und drastischer, kriegerischer Auseinandersetzungen mit feindlichen kriminellen Gruppierungen. Und erneut wird uns auch innerhalb der Serie eine Art des extremen Körperkinos geboten, das am drastischten in Inszenierungen von Gewaltexzessen manifestiert. So sind wohl die prägnantesten Szenen innerhalb der Serie die Morde, allen voran der der dritten Staffel, in dem eine schwangere Frau umgebracht wird. Hierbei fungieren diese inszenierten Manifestationen der Gewalt erneut als Elemente der Seduktion, ganz im Sinne Stigleggers.
Im Gegensatz zur Serie „Band of brothers“, in dem die performative und spektakelhafte Inszenierung des kämpfenden Körpers dominierte, thematisiert die Serie aber, abseits der obig beschriebenen Aspekte der Seduktion, vielmehr die  Bedeutung des Männerbundes für das in ihn integrierte Subjekt und zugleich den Stellenwert des Mikrokosmos Männerbund in Bezug auf den Makrokosmos Gesellschaft. Im Fall der „the Sopranos“ die Stadt New Jersey. Diese Thematisierung der verschiedenen Ebenen und somit der diversen Metaebenen gelingt der Serie aus zweierlei Gründen nahezu perfekt. Zum einen ist es die physische Größe der Serie mit 86 Episoden a 55 Minuten, gebündelt in sechs Staffeln und somit einer Gesamtlaufzeit von 4730 Minuten. Und anders als bei „Band of brothers“ oder „Rome“, der anderen großen Mini-Serie HBO's, wird dieses mehr an Laufzeit innerhalb der „The Sopranos“ nicht, wie bei den beiden erst genannten Serien, genutzt, um eine, den Konventionen des Kinos entsprechende, Erzähl- und Visualisierungsstruktur auf zehn oder noch mehr Stunden aufzublasen, sondern die innerhalb der Serie behandelten Gegenstände werden in eine auf allen Ebenen multiperspektivisch angelegte Struktur eingebettet. Dies zeigt sich insbesondere in der Darstellung der Wechselwirkung zwischen dem mafiösen Männerbund und dem kleinbügerlichen Familienleben der Hauptfigur Tony Soprano. Diese Wechselwirkung kann  für die Gesamtheit der Serienhandlung als dominierend definiert werden kann.
Da sich jedoch die Serie „The Sopranos“ auf eine festgelegte und zudem relativ überschaubare Menge an Hauptakteuren und auch Akteurinnen beschränkt, bleibt die Serie letztendlich doch zu einem großen Teil gewissen Konventionen des klassischen Erzählkinos treu. So werden zum Beispiel alle Haupterzählstränge bis zu einem Ende geführt und auch bei beigeordneten Erzählungen ist fast immer eine Fortführung bis zu einem, für das Publikum mehr oder minder plausiblen Ende, vorzufinden. Zudem bedingt die Fokussierung auf die Familie Soprano und deren Entwicklung über einen, von der Sendung, definierten Zeitraum, dass Hauptcharaktere nicht beiläufig aus der Sendung Desintegration erfahren. Sei es nun durch Mord, Unfälle oder andere Ereignisse. Die Integration oder Desintegration von Figuren, die der Fokussierung der Handlung, im Fall der Serie also die Lebenswelten der Famile Soprano, unterliegen, bildet immer einen Höhepunkt innerhalb der Erzählstruktur. Auf derart gestaltete Höhepunkte arbeitet die Erzählstruktur innerhalb der einzelnen Staffeln – und hierbei haben wir es mit klassischen Erzählkino ala Hollywood zu tun- hin.

Ein weiteres Format bei dem das Publikum mit verschiedenen Ausformungen des Männerbundes Konfrontation erfährt, ist das Format „The wire“. Jedoch spreche ich schon in diesen einleitenden Zeilen bewusst von Männerbünden, da die Serie mit dem, was zuvor bezogen auf die Erzählstrukturen der Serien „Band of brothers“ und „The Sopranos“ konstatiert wurde, vollends bricht. Weder erweitert die Serie „The wire“ einen klassischen Kriminalfilmplot auf Serienlänge, noch fokussiert sie, wie „The Sopranos“, eine definierte Personengruppe, um diese darzustellen. „The wire“ gestaltet seine Darstellungen vielmehr kaleidoskopartig, gar kubistisch, wobei der Gegenstand der  sich immer in den Darstellungen, sei es direkt oder indirekt, findet die Stadt Baltimore ist. Folgerichtig bricht die Serie mit so ziemlich allen Konventionen des klassischen Erzählkinos. Klassische Filmtheorien, wie die James Monacos, greifen den Gegenstand somit kaum noch und auch neuartige Theorien, wie Stigleggers Seductionstheorie, würden den Gegenstand zu Teilen entkontextualisieren und sind somit nicht in der Lage seine Gesamtheit zu erfassen. Zumal Stigleggers Theorie sich zunächst nur explizit auf das Medium des Spielfilms bezieht. Innerhalb der Serie „The wire“ ist zwar vieles an Erzählstrukturen noch vorhanden - Charakterzeichnung, Handlungserzählung, Inszenierung von klassischen Actionszenen uvm. - jedoch nur noch fragmentarisch. Die Serie ist nicht daran interessiert dem Publikum eine Geschichte zu Erzählen, die bei Punkt A beginnt und bei Punkt B endet. Und dennoch bricht die Serie nicht, wie Beispielsweise die Filme Daivd Lnychs, vollends mit Strukturen des konventionellen Erzählens und reduziert das Dargestellte auf sich selbst. Vielmehr weisen alle Facetten innerhalb der kaleisdoskopartigen Inszenierung, gemäß den Bildlogiktheorien von Dieter Mersch, über sich selbst hinaus, sind ikonographisch gestaltet und zeigen somit zugleich immer, neben ihrem eigentlichen Sein, die Existenz einer Metaebene aus. „The wire“ fächert so vor dem Publikum ein Bild, bestehend aus vielen Facetten, auf und integriert zugleich durch das fragmentarische Erzählen von Geschichten und somit auch Zusammenhängen, Wechselwirkungen zwischen diesen verschiedenen Facetten. Letztendlich ist dies das zentrale Konzept der Serie, dem ästhetische, als auch erzählerische Gestaltung nur Zuarbeiten. Es geht um die Wechselwirkungen und Beziehungen von Kollektiven und Subjekten innerhalb einer definierten gesellschaftlichen Struktur. Der Männerbund ist hierbei nur ein Kollektiv, eine Struktur unter vielen. Die Serie möchte nicht erzählen und damit ikonographisch diskutieren, vielmehr möchte sie die den Facetten zugrundeliegenden Strukturen, die sie von Sendung zu Sendung ausbreitet, thematisieren und ihre ständige Evolution diskutieren.
Letzten Endes aber bildet „The wire“ nur eine kleine Ausnahme innerhalb der Masse der Fernsehinszenierungen. Das am Ende dann doch Serien, die sich der gewöhnlichen und bekannten spektakelhaften Inszenierung des Männerbundes widmen mehr Interesse und vielfach größere Ausgestaltung erfahren, davon zeugen die filmgewordenen Männerphantasien der Serien „Spartacus: Blood and Sand “ und „Sons of anarchy“ .

Literatur:

Jünger, Ernst: Der Kampf als inneres Erlebnis, Berlin, 1926
Fuchs, Christian: Körpertheorie des Films I. Let's get physical. Anmerkungen zum Körperkino, in: :Ikonen:.Magzin für Kunst, Kultur und Lebensart, einzusehen unter: http://www.ikonenmagazin.de/ikonenframe.htm. Letzter Zugriff am 11.12.2011 um 16:37 Uhr.
Stiglegger, Marcus: Ritual und Verführung. Schaulust, Spektakel und Sinnlichkeit im Film, Berlin, 2006




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