„Du bist
schön und jung und starkNimm
dir was du willstNimm
dir was du willstSolang
du nur noch kannstVerschwende
deine Jugend“-D.A.F. /
Verschwende deine Jugend-
„Floschnpfand“, „Fuaßboiplatz“,
„Notstandshüfe“, oder eben „Arbeitlos“. Wer sich derzeitig
in Österreich mit aktuellen Bands und KünstlerInnen beschäftigt,
der wird neben den obligatorischen „Chart-Stars“, wie
„Bilderbuch“, „Wanda“, „Nazar“ und den „Makemakes“,
an einer Formation nicht vorbeikommen: „Turbobier“1.
Die Jungs Doci Doppler, Fredi Füzpappn, Baz
Promüü und der umtriebige Marco Pogo sorgen nicht nur allein wegen
ihrer Namen für Knoten in den Zungen ihrer „hoch“deutschsprachigen
Fans, sondern begeistern mit ihren Videos zehntausende
ZuschauerInnen. Und auch im realen Leben spielt sich die Formation
seit geraumer Zeit von einer ausverkauften Location zur Anderen. Den
vorläufigen Höhepunkt im Universum „Turbobier“ bildet aber mit
Sicherheit das seit dieser Woche erhältliche Album „Irokesentango“.
Doch was steckt hinter den vier, scheinbar
immer volltrunkenen, Herrn und ihrem künstlerischen Output?
In
der moralischen Entrüstung schwingt auch immer die Besorgnis mit,
vielleicht etwas versäumt zu haben.
-Jean
Genet-
Der naheliegende Versuch „Turbobier“ als
dreckige Stiefgeschwister eben dieser Bands, wie den oben erwähnten
„Wanda“ und „Bilderbuch“, zu begreifen ist allein deswegen
zum Scheitern verurteilt, da es „Turbobier“ nicht eben nur um die
Musik allein geht; denn diese dreht sich Punk/Oi-typisch
vordergründig erst einmal um Bier, staatliche Zwangsmaßnahmen zur
Wiedereingliederung und Fußball und ist damit, bis auf die
Vortragsweise in Wiener Mundart nicht unfassbar innovativ, sondern
besticht mehr durch das variantenreiche Spiel mit den genretypischen
Klischeefacetten.
Was „Turbobier“ aus der Menge herausragen
lässt, ist ihre Verquickung von Musik, Theater, Videokunst und der
medialen Präsentation dieses Gemisches über die verschiedensten
Netzwerke der digitalen Welt und den Bühnen des deutschsprachigen
Raumes.
Es ist deswegen nicht nur der Versuch falsch
„Turbobier“ mit anderen Bands zu vergleichen, denn vielmehr
grundlegend die Klassifizierung von „Turbobier“ als Band
überhaupt. Der Versuch all die dargelegten Bereich der Tätigkeit zu
subsumieren weckt deswegen bewusst auch eher Assoziationen zu anderen
Künstlerkollektiven, wie „Laibach“ oder auch „Crass“, denn
zu Bands, wie „Kraftclub“ oder eben „Wanda“ - „Turbobier“
ein anarchistisches Gesamtkunstwerk!
Gewichtig wird diese Erweiterung des Fokus in
Anbetracht eines Zitats von Christoph Schlingensief:
„Das ist
eben das große Pro von Theater, von Fiktion: dass es sich Dinge
erlauben kann, zum Beispiel auf der Bühne jemanden zu töten oder
seinen Kopf zu fordern – ohne Konsequenzen. Ich war immer ein
Gegner von diesem blöden griechischen Theater, aber, auch hier
wieder: Je älter ich werde, desto mehr finde ich es toll, von
Katharsis zu reden.“2
Und weiter, den Effekt der Katharsis auf das
Individuum begreifend:
„Wenn
ich eine gute Theaterinszenierung anschaue, genauso wie einen guten
Film, dann denke ich inzwischen tatsächlich manchmal: Wie gut, dass
der den umgebracht hat, dann brauch ich´s nicht mehr zu machen.“3
Es ist deswegen auch der Moment des Exzesses
und dessen theatralische Darstellung die „Turbobier“ von anderen
Bands aus dem Bereich des Oi- und Punkrock differenziert.
„Turbobier“ ist per se die proletoide
Version von Herman Nitschs „Orgien Mysterien Theater“, was aber
keinesfalls als Abwertung zu verstehen ist, denn vielmehr als großes
Kompliment. Wo Nitsch über Bedeutungslosigkeit mit
mythengeschwängerten Bildern hinwegtäuscht, da generieren
„Turbobier“ aus den scheinbar bedeutungslosen Bildern und
Aktionen neue Mythen des Seins.
Kommen wir deswegen zurück zu geistigen
Steinbrüchen der Band: Das Fundament des Oi bildet vielfach die
Konstitution eines, wie auch immer gearteten, Gefühls als
„Working-Class“. Über die imaginierte Schichtzugehörigkeit,
deren Sedimentierung und die „Lobgesänge“ wird Gemeinschaft
generiert und erhalten. Punk ist, oberflächlich geschrieben, zwar
ideologisch ausdifferenzierter, verweist aber in seiner Musik im Jahr
2015 in den wenigsten Fälle auf das einstige Motto „No Future“
und verweigert sich damit einer radikalen Ablehnung und Apathie
gegenüber dem gesellschaftlichen Fortbestand. „Turbobier“
hingegen wählen als künstlerischen Ausgangspunkt einen stark
existenzialistischen Fokus, der das Individuum und dessen aus der
Essenz zu schaffende Existenz als primären Zirkulationspunkt wählt.
„Turbobier“ gehen hierbei bewusst weiter.
Weiter, als DAF es noch in den 80er taten, als sie ihre HöhrerInnen
dazu aufforderten, ihre Jugend zu verschwenden. Bei „Turbobier“
wird das Verschwenden zum primären Moment der Existenz erweitert:
Verschwende dich selbst!
Die Verschwendung und damit grundlegend der
Moment des Exzesses werden jedoch einer positiven Umdeutung
unterzogen: Der Moment des selbstzerstörerischen wird zum
hedonistischen Nihilismus.
„Turbobier“ feiern nicht die Option eines
richtigen Lebens im Falschen, oder eben die Illusion, dass die
kapitalistische Ordnung der Körper eine Inszenierung des Selbst im
Korsett der Norm belohnen könnte. „Turbobier“ feiern vielmehr,
wenn auch unter einer Schicht von Humor und Sarkasmus verborgen, die
Option der bedingungslosen Selbstauflösung des Ichs im
masochistischen Rausch als letzten wirklich selbstbestimmten Moment,
in einer gesellschaftlichen Ordnung, deren Wesen die Zerstörung des
Individuums zwecks sinnentleerter Mehrwertproduktion feiert.
Der „Drangler“ ist deswegen keine
„No-Future“ Ikone, denn vielmehr die mythische Ikone, die ihr
Sein in gesellschaftlicher Isolation und selbstauferlegter Marter
fristet, um, ganz im Sinne Batilles, wirkliche Transzendenz und
Individualität erleben zu können. Der „Drangler“ als Märtyrer
und die „Hüsn“ als Relikt und Reliquie des kathartischen Aktes
den „Turbobier“ in ihrem Theater aufführen, in ihren Liedern
besingen und in ihren Facebookposts kreieren. Die, allein und gerade
wegen ihres Strebens nach Freiheit und dem Aufzeigen gesellschaftlich
hegemonial getarnter Lügenmärchen, positive Antithese zu den
Heilsversprechen des glücklichen Menschen in der „Sozialen
Marktwirtschaft“.
Alkoholismus ist bei „Turbobier“ deswegen
immer als ein sinnlicher Akt zu begreifen, der seinen Vollzug in
einer Umgebung erfährt, die ihre Sinnlichkeit und Lust längst in
den vollends entleerten Pornos und übersexualisierten Medienformaten
aller Art verloren hat. Das Bier ist auch deswegen Fetisch, gerade
eben auch in sexueller Natur, weil es eine direkte Sinnlichkeit im
Sinne des bloßen Seins verspricht. Das Bier und der Rausch nehmen
der Essenz ihre Existenz. Der Rausch wird zum Akt der Zerstörung der
Konventionen, das Bier zum Zeremonienmeister, dem „Turbobier“
selbst zudem in einer theoretisch abstrakten Form in ihrem „Format“
der „Bierpartei (BPÖ)“ huldigen.
Die positiven Gesänge über den Rausch, die
Suche nach einem offenen Beisl in der Nacht, oder dem Flaschenpfand
können und müssen deswegen als lyrische Figuren und Kompositionen
verstanden werden, die in ihrem Wesen fast unausweichlich an die
lyrischen Bilder Jean Genets gemahnen. Wo Genet Matrosen und Mörder
besingt, da sind es bei „Turbobier“ die „Drangler“ und sozial
Ausgegrenzten.
Ganz im Sinne Batilles verweist der scheinbar
dystopische Akt der Selbstauflösung und Zerstörung immer auf den
Moment der Transzendenz, indem die Dystopie in die Utopie kippt und
letztendlich bei „Turbobier“ nicht mehr und nicht weniger ist als
die völlige Befreiung des Individuums aus den Zwängen des
gesellschaftlichen Seins, allen voran die sinnlose Ausbeutung des
Selbst für eine Ordnung, die niemals ihre Versprechen eingehalten
hat. Die Kunst von „Turbobier“ ist allein deswegen Katharsis, da
sie uns einen existenziellen und dystopischen Weg in die Utopie
gemahnt. Zugleich aber auch auf das kreative, humorige und gewaltige
Potential aller Menschen verweist, die
ihren Frust ziellos sublimieren: Arbeitslos
durch die Nacht, dass heißt auch frei durch die Nacht! Prost!
Das Album kann unter: http://turbobier.at/irokesentango bestellt werden.
Wer sich Turbobier live geben möchte - hier geht das:http://turbobier.at/tour
1In
Deutschland wird ein „Turbobier“ eher unter dem Namen
„Dosenstechen“ ein Begriff sein. Vgl.
http://de.wikipedia.org/wiki/Dosenstechen
2Schlingensief,
Christoph: Ich weiß, ich war´s, München: Kiepenhauer und Witsch,
2012, S. 104
3Ebd.
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