Mittwoch, 24. Juni 2015

Die Ästhetik des Terrors - Gedanken zur topologischen Ordnung der Videos des IS

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We live as we dream - alone. While the dream disappears, the life continues painfully.”
-Joseph Conrad: Heart Of Darkness-

Es mögen sich die Nachrichten häufen, dass der Islamische Staat (IS) in den letzten Wochen und Monaten so manche Bastion seiner Herrschaft verloren hat, doch auch wenn seine Herrschaft in absehbarer Zeit einmal gebrochen werden sollte, so ist ihm doch etwas gelungen, dass seine reale Existenz um Jahre überdauern wird: Die Erschaffung kultureller Artefakte, die sich tief in das Gedächtnis der westlichen Welt eingebrannt haben. Vermummte, in schwarz gekleidete und bis an die Zähne bewaffnete Männer, die ihre Opfer, einem Ritual, dessen Sinn wir nicht zu kennen scheinen, folgend, enthaupten, steinigen, verbrennen und andersartig töten. Menschen, die antike Städte und deren kulturelle Güter blindlings zerstören und dem Staub der Wüste gleichmachen. Es mögen die Waffen einst schweigen, die Bilder werden die Gewalt und all die vergangenen und noch kommenden Herrschaften überdauern. Denn sie haben ein immerwährendes, da niemals löschbares, ästhetisches Reich des audiovisuellen Terrors erschaffen.

Pop-Dschihad, Gewalt und die Topologie der Narrative 

Es wurde viel über die Videos, die dem Islamischen Staat zugeschrieben werden, berichtet und analysiert. „Pop-Dschihad“ war und ist eines der großen Stichwörter.
Andere wiederum analysierten die Snuff-Videos in einem Akt der Detailversessenheit und kamen zu Ergebnissen, wie dem, dass die Rezeption dieser Videos nur deswegen auf solch breiter Basis erfolgt, da die Videos sich per se genuinen Mustern westlicher Narration und Bildästhetik bedienten; bis hin zu den Enthauptungen, die, anders als in den Videos anderer terroristischer Organisationen, niemals als Ganzes gezeigt würden und deswegen die Rezeption erst ermöglichen würde, da sich das wirklich brutale im Kopf der RezipientInnen abspielen würde. Filme wie „The Silent Of The Lambs“ und „Seven“ lassen grüßen. Die Fiktion wird zur bluttriefenden Realität, die sich wiederum im fiktionalisierten Gewand kleidet.

Gemein ist diesen Darstellungen und Einschätzungen, dass sie alle richtig sind, zugleich aber auch falsch, da sie sich alle grundsätzlich von den Signifikanten des Spektakels täuschen lassen und so den wahren Kern der Videos nicht zu fassen vermögen.
Die vom IS erstellten und in das globale Kommunikationsnetz eingespeisten Videos als eine Art Genre unter dem Begriff „Pop Dschihadismus“ zu fassen ist hierbei wohl die erste große Missinterpretation. Selbstredend sind die, vom IS erschaffenen, Videos kulturelle Artefakte und durch die breite Rezeption und ihre omnipräsente Verfügbarkeit im weltweiten Datenstrom sind sie, ohne Zweifel, zum Teil populärer Kultur geworden. Wohl kaum ein Mensch in der westlichen Hemisphäre hat nicht den blutigen Kopf eines der Opfer gesehen oder eines der Bilder, das die Ausführenden irgendwann ins Internet gestellt haben. So, wie die Bilder des 11. September, so sind auch die Bilder des IS Ikonen und als Ikonen sind sie in unsrer Bilderwelt omnipräsent.

Jedoch ist das Wesen der Videos selbst eher dialektisch. So betreiben sie zum einen eine markante und beeindruckende Mimesis der Topologie westlicher Popkultur. Zum anderen aber verfügen die Videos stets auch über eine Unzahl an Symbolen und Signifikanten, die dezidiert nicht einem westlichen Kulturkreis zuzuordnen sind und demgemäß von westlichen RezipientInnen zwar oberflächliche Zuordnung erfahren können (Schriftzeichen, Gesänge, Sprache usw.), zumeist aber nicht vollends entziffert werden können. Wer weiß, was die arabischen Schriftzeichen aussagen, was die gesangs-ähnlichen Passagen zum Inhalt haben oder was genau die Stirnbanner der KämpferInnen für Inschriften tragen?
So sehr diese Details das Gesamtbild bestimmen, sosehr sind sie vielfach eben nicht Fokus der Narration. Geschweige denn braucht es ein basales Verständnis dieser, denn vielmehr ist der Akt der Zerstörung, sei dieser nun gegen menschliches Leben oder kulturelle Objekte gerichtet, Nukleus der Narration. Er ist Zentrum, Ausgangs- und Endpunkt. Ein endloser, da symbolischer, Zyklus des Leidens und der Vernichtung.

Wichtig erscheint hierbei zuerst folgende Differenzierung zwischen dem bloßen Akt der Gewalt, wie ihn zum Beispiel eine Straßenschlägerei darstellen kann, und dem, was hier unter dem Topus des „terroristischen Akts“ verhandelt werden soll. Es ist dem terroristischen Akt, wohl als einzigem Akt der Gewalt, zu eigen, dass er seine mögliche Rezeption vorab plant und als integralen Bestandteil seines Prozesses begreift. Der terroristische Akt ist immer ein pervertierter Schöpfungsakt, der aus der Destruktion seines Handelns neue Bilder erschafft. Der Akt der Gewalt muss rezeptionsfähige Bilder gebären, die das erschaffene Leid aus der Dimension des Individuellen herauslösen und sie in das symbolische Sein überführen.
So, wie das weiße Blatt den Autor in einen Modus der totalen Offenbarung zwingt, so sehr zwingt der Akt der Gewalttat die TäterInnen1 in den Akt der symbolischen Determination. So, wie ihr Handeln den Akt gebiert, so reproduziert der Akt ihr Sein und ihre Ideale selbst.
Gemein ist hierbei all diesen Akten terroristischer Gewalt, dass sie in ihrer medialen Inszenierung zu einem performativen Akt geformt werden, indem die blanke Gewalt mit Signifikanten versehen wird, um sie dergestalt topologisch zu ordnen und ideologisch zu kodifizieren.

1Hierzu zählen deswegen gerade auch jene, die den Akt medial inszenieren und nicht allein die, die den Akt der Gewalt begehen.

Entgrenzung und mediale Imagination

Gemeinsam ist den Akten vorrangig ihr Moment der Entgrenzung, wobei Entgrenzung hierbei im Sinne einer negativen Transgression, einer gezielten Überschreitung der westlich hegemonialen Konventionen, zu begreifen ist. Terror ist aber nicht nur allein diese Form der Grenzüberschreitung der Konvention der Heiligkeit der Körper, sei es in Form von schweren Akten der Gewalt, bis hin zu extrem detaillierten Tötungen, sondern gerade deren öffentliche Präsentation und die, von den TäterInnen gezielt bearbeitete, Einspeisung der Narration in das weltweite Datennetz.
Nicht der Terror, in Form der Gewalt gegen die Körper, bildet hierbei den Nukleus dessen, was wir als entgrenzt erfahren, denn vielmehr dessen vulgäre Zurschaustellung im kulturellen Artefakte. Die Ästhetisierung des Leids und dessen symbolische Prostitution, die den Akt in die Sphäre der endlosen Wiederholbarkeit erhebt. In der Realität kann der Mensch nur einmal sterben, in der Narration endlos. Das Leiden und die symbolische Kodierung dieses Leidens werden somit immer wieder reproduzierbar. Jederzeit an jedem Ort der Welt. Kostenlos.

Das Artefakt verwischt hierbei bewusst, in seinem Sein, die Grenzen zwischen objektiviertem Sein und einer, scheinbar prozesshaften, Ästhetik des Performativen. Das Artefakt verweist in seinen Signifikanten immer darauf, Teil einer größeren Gesamtheit zu sein, ebenso wie in der größeren Gesamtheit jedes einzelne Teil drauf verweist, dass es einen jeden kleineren Teil als Teil seiner Selbst begreift. So, wie der Akt, den die Videos in ihren Narrationen darstellen, nicht ohne die reale Existenz des Islamischen Staats zu denken ist, so ist der Islamische Staat nicht in seinem Wesen denkbar ohne die gezeigten Gräuel.
Dergestalt vernichten die kulturellen Artefakte die Grenze zwischen medialer Imagination und realem Sein: Die kathartische Hypothese, die davon ausgeht, dass in den medialen Imagenationen Prozesse stellvertretend ausgelebt werden können, wird hierbei zur konkreten Androhung des Subjekts.
Die Entgrenzung der Gewalt vollzieht sich nicht nur in seiner vulgären Exploitation gegen die Objekte seines Prozesses selbst, sprich die zu marternden Menschen; vielmehr verfolgt die Narration als Ziel eine Drohung auszuformulieren, die die Entgrenzung zwischen medialer Narration und objektivem Sein des rezipierenden Objekts fokussiert: Auch du könntest getötet werden!

Die scheinbare Angst-Lust in der Rezeption von Videos, wie sie nicht allein der IS verbreitet, ist deswegen keineswegs als sinnlich motivierte Lust an den Bildern allein, die abseits jeglicher Vorstellung ihr Sein zu vollziehen scheinen, zu begreifen, denn vielmehr als Lust an der explizit implizierten Bedrohung des Subjekts selber. Die Rezeption wird hierbei zum masochistischen Prozess der eigenen Objektivierung im Rahmen der entgrenzten Ästhetik der Narration. Auch deswegen gemahnen die Videos so sehr an unsere populäre Kultur, da sie in ihrem Sein und ihrer Rezeption so sehr an das erinnern, was Marcus Stiglegger in seinem Essay „Terrorkino“ beschreibt. Stigleggers Seduktions-Theorie, die Film und dessen Artefakte immer als einen Akt der Verführung des Rezipienten begreift, lässt sich wohl an keinem medialen Objekt klarer verdeutlichen, als an den Videos des IS.

Die symbolische Ordnung des Schlachtens

Es ist jedoch grundlegend falsch, die kulturellen Artefakte und ihre Narrative allein und einzig auf ihren Höhepunkt, nämlich den Akt der entgrenzten Gewalt, zu reduzieren.
Es gilt sich hierbei bewusst zu werden, dass Medien und populäre Kultur als Speicher, Reservoir und Verhandlungsort von Konzepten dienen, wobei Konzepte hier im Sinne von Konstruktionen gefasst werden müssen, deren Sinn und Gehalt gesamtgesellschaftlich diskursiv hergestellt wird.
Die Videos des IS nutzen diesen global zugänglichen Diskursraum, indem sie ihre Philosophie in Form von Artefakten einspeisen, die wiederum popkulturelle Montagen darstellen. Der globale Akt des Terrorismus ist deswegen zuerst und primär immer ein medialer Akt. Die Bereitstellung der eigenen Narration und die Eröffnung der Option, überall auf der Welt diese Narrative unzensiert und ohne Zugangsbeschränkungen zu verbreiten.
Die TäterInnen affirmieren hierbei die Bilder unmittelbar, da sie direkt im Modus visueller Bildkulturen operieren. Dies bedeutet wiederum aber auch, dass die audiovisuellen Narrationen des IS eine spezifische topologische Ordnung zu entfalten vermögen. Selbstverständlich im Rahmen der spezifischen Logik der Bilder, wie sie Mersch am treffendsten in seinem Artikel „Die Logiker der Bilder“ darlegt. Allen voran die Nicht-Negativität der Bilder, was nichts anderes heißen soll, als dass Bilder nicht direkt in der Lage sind zu negieren, da sie das zu Verneinende immer zeigen müssen. Die Negation muss also über die Narration erfolgen. Beim IS vollzieht sich diese Negation des Gezeigten immer in der Destruktion des physikalischen und symbolischen Körpers.

Auffällig bei fast allen Videos, die dem IS zugeschrieben werden, ist die formal strenge Ordnung. Sowohl ästhetisch, als auch im Narrativen. Die Narration dient nur der groben Rahmung des eigentlichen Akts der Gewalt, der Höhepunkt und Ausgangspunkt zugleich darstellt. Oftmals wird das Geschehen audiovisuell von melodiös anmutenden „Gesängen“ und andersartigen Symbolen gerahmt und begleitet. Bedeutet jedoch, dass es keinerlei Verständnis um und für diese verschiedenartigen Symbole bedarf, da der Akt der Gewalt und die, mit ihm einhergehende, Zerstörung als universell verständliches Symbol funktionieren. Im Fokus der Narration stehen immer zwei Figuren(gruppen) und ihre Beziehung zueinander. Der/Die, die Gewalt Ausführende und das Opfer. Beide durch ihre Darstellung, allen voran die Kleidung, ihrer Individualität entrissen und zu Ikonen transformiert. Auf der einen Seite die, in einen farblichen Overall gewandeten, Opfer, oft mit verbundenen Augen, auf der anderen Seite die, in schwarz gekleidet, maskiert und bewaffnet, Ausführenden.
Der Tod des Opfers nimmt in diesem Ritual die Gestalt einer mathematischen Lösung an. Selbst der Tod des Opfers verliert dabei seine Individualität und wird zu einem Moment der topologischen Ordnung. Er erscheint unabdingbar, durch nichts auf der Welt zu verhindern. Er ist logische Konsequenz, Vorhersehung und Schicksal zugleich. Wo die Folter, Jean Amery folgend, immer eine Anerkennung des Anderen, im politischen Sinne implementiert, da negiert der Islamische Staat diese Anerkennung seiner Opfer. Die Opfer sind keine Menschen, sie sind Symbole und als Symbole finden sie Vernichtung.

Der Wille zur totalen Vernichtung des Abstrakten

Carl Schmitt folgend, geht mit dem Willen der totalen physischen Vernichtung der Zwang zur vollständigen moralischen Vernichtung einher. Das Opfer muss nicht als Mensch den Tod erfahren, denn vielmehr als Symbol für die totale moralische Vernichtung dienen, die das Video als Artefakt in den medialen Kurs einspeisen kann. Die Imagination der Anderen muss hierbei zwangsläufig dergestalt kodiert werden, dass die Anderen in ihrer Gesamtheit als VerbrecherInnen und Unmenschen deklariert und deklassiert werden. Auch so und gerade so können die eigenen Exzesse und die eigene Entgrenzung Rechtfertigung und Absolution erfahren. Es ist dies der Grund, warum in den Videos so konsequent von der Gruppe der Ungläubigen fantasiert wird.
Der vom IS ausformulierte Islamismus ist in diesem Sinne eine absolute Feindschaft, die letztendlich der abstrakten und totalen Vernichtung von Ideen trachtet und weniger der Vernichtung eines konkret materiellen Feindes.
Die mediale Narration generiert dergestalt eine Ordnung, die die religiösen Fragmente nur indirekt zur Rechtfertigung des eigenen Handelns anführt, denn vielmehr zur Argumentation und Konstruktion einer absoluten Feindschaft dient.
Das diese absolute Feindschaft in der exzessiven und drastisch bebilderten Schlachtung der Körper ihre ästhetische Form findet, ist dergestalt logisch, ist doch die Verletzung Heiligkeit der Körper, deren Unversehrtheit und die, an den Körper gekoppelte, Individualität der Existenz eines jeden Menschen eines der großen Tabus westlicher Gesellschaft.
Eben deswegen müssen die Videos, die die Tötung von Menschen und die, die die Zerstörung von kulturellen Artefakten, in Form konkret physischer Objekte, wie zum Beispiel die Stadt al-Hadra, oder andere Stätten, als eine Einheit definiert werden. Es ist erklärtes Ziel beider nicht den Menschen als Subjekt und Individuum zu eliminieren, denn die übergeordnete Ordnung, als dessen Symbole und RepräsentantInnen die Körper und Objekte symbolisch dienen.

Der Partisan und die Ordnung des Raumes

Es vermag deswegen auch nicht weiter zu verwundern, dass einer Figur in den Videos immer eine zentrale Position zukommt: Dem maskierten Ausführenden. Nicht nur ist er/sie direkt Subjekt des Handelns, sondern vielmehr ästhetisierte Ikone. Durch Gewandung seiner/ihrer Individualität entrissen und durch das schwarz auf nichts weiter als auf die Waffe und andere, weniger scheinbare und religiös konnotierte Symbole, wie Stirnband und Co., reduziert, verweist er/sie darauf, dass er seine Identität und Individualität aufgegeben hat, um Teil des Kollektivs zu werden, dass uns optisch durch gleichgeartete Symbole präsentiert wird. So, wie die Videos in makrokosmischer Dimension darauf verweisen, dass sie Teil einer größeren ideologischen Ordnung sind, so verweist der Ausführende, als Symbol, darauf, dass er Teil einer symbolischen Ordnung ist und nicht deren herausragender Repräsentant. Die Ausführenden sind keine RevolutionärInnen. Keine Ernesto Guevaras und keine Maos. Sie sind Partisanen. Arbeiter, im Sinne Ernst Jüngers, für eine zu erschaffende Ordnung und Industriepartisanen im Sinne von Carl Schmitt. Sie sind Kodizies für die Wiederkehr des konkret Politischen. Sie definieren, strukturieren und hierarchisieren durch ihr konkretes Handeln einen realen und einen medial-virtuellen Raum zugleich. Vorwiegend dadurch, dass sie in diesen Räumen sowohl real, als auch virtuell, die Symbole eliminieren, die für eine abstrakte Ordnung des Raums durch Ideale stehen, die ihren eigenen Idealen widersprechen.

Obwohl dieser Raum nicht identisch mit Ordnungen, wie der Nation, dem Stammesgebiet, der Region, oder der abstrakten überregionalen politischen Vereinigung ist, so entfaltet er doch seine Logik, deren Spezifika am ehesten mit Carl Schmitts Idee von der Einheit von Ordnung und Ortung zu greifen sind. Die Videos sind gerade deswegen immer in einem klar sichtbaren und grob geographisch verortbaren Setting arrangiert, weil sie dergestalt so an einen konkreten geographischen Ort gemahnen: Das Territorium des Islamischen Staats.
Im Gegensatz zu anderen Regimen, die ihre Taten der entgrenzten Gewalt oftmals in Gebieten vollzogen, die nicht mehr direkt, oder nur peripher, dem Gebiet ihrer Hoheit zugeschrieben werden konnten, so vollzieht der Islamische Staat seine Taten im Herzen seines Hoheitsgebiets. Die gewalttätige Entgrenzung gegen die imaginierte Masse der Anderen wird dergestalt zum integralen Bestandteil der eigenen Ordnung und verweist so auch auf eine Einheit von Ortung und Ordnung. Nur im beherrschten und eigenhändig geordneten Bereich können die Anderen endgültig Vernichtung erfahren. Der Partisan ist VollstreckerIn dieser Einheit von Ortung und Ordnung und zugleich in seiner, scheinbar massenhaften Existenz, deren AnhängerIn, RepräsentantIn und GönnerIn. Die perverse Blume, verwurzelt in der Ästhetik des Terrors.
Er ist symbolische Ikone, als auch konkreter Exekutor zugleich! Sein Individuum und das, an den Individuen verursachte, Leid ist dergestalt immer nur Teil im Prozess einer Ästhetik des Performativen, deren Ziel die reale, als auch multimediale, topologische Neuordnung und ideologische Hierarchisierung des symbolischen Diskursraums ist.

Vulgäre Anerkennung

Nach Max Weber bedarf die Anerkennung einer existierenden Ordnung immer die Anerkennung der Ordnung derjenigen, an die sie sich richtet. Die Anerkennung des Islamischen Staats vollzieht sich hierbei in einem dualistischen Prozess, dessen Bezug durchaus als dialektisch beschrieben werden kann: Auf der einen Seite dieses Prozesses finden sich die direkt Regierten, die einem konkreten geographischen Zugriff unterliegen. Auf der anderen Seite diejenigen, deren Anerkennung abstrakt, in Bezug auf die Anerkennung der ausformulierten Ideologie und Topologie, zu erfolgen hat.
Die produzierten kulturellen Artefakte fordern dergestalt in einer primitiv vulgären Form immer auch die Anerkennung der Anderen, denen in den Artefakten immer die Vernichtung angedroht wird.
Der Wunsch und die Forderung nach Anerkennung ist deswegen immer eine des sich stärker Generierenden, der die Hierarchie und Ordnung über die bloße Fähigkeit zur steten und immer wiederkehrenden Fähigkeit der Entgrenzung des eigenen Seins organisiert.
Gerade deswegen lässt sich der Islamische Staat auch in realer Konsequenz nicht nur rein argumentativ bekämpfen, sondern muss immer zwangsläufig militärisch im konkret realen Raum konfrontiert werden.

So, wie die Videos über ihre Entgrenzung eine Topologie des Terrors ausformulieren und ästhetisieren, deren Ziel die Hierarchisierung der Anderen, über die stete Drohung der Vernichtung ist, so sehr muss sich bewusst gemacht werden, dass diese kulturellen Artefakte immer auf ein reales Sein Bezug nehmen. Ein Sein, indem diese Ordnung der Entgrenzung eine geographische Ortung strukturiert und beherrscht. Die Opfer sind Symbole, jedoch immer auch Menschen, die dem Willen zur totalen Vernichtung anheimgefallen sind. Ein Toter mag eine gewisse ästhetische und symbolische Topologie be- und ergründen, am Ende bleibt er/sie aber ein Individuum, dass auf grausame Weise dem Leben entrissen wurde. Die topologische Ordnung der Ästhetik des Terrors formt die Leidenden und ihre Pein zu Symbolen, um sie als Argumente in den globalen Diskursraum einzuspeisen. Eine Analyse, wie die hier vorliegende, kann dies analysieren. Es obliegt aber uns allen stets daran zu denken und zu gemahnen, dass eben diese Individuen mehr sind als bloße Symbole. Sie sind Menschen. Eine Ästhetik des Terrors kann nicht mit einer „Ästhetik der Menschlichkeit“ entgegengewirkt werden, da es diese Ästhetik nicht geben kann. Menschlichkeit ist konkret, da sie konkrete Subjekte kennt. Der Terror kennt diese Subjekte nicht. Er kann und will sie nicht kennen.

Eine Analyse der Videos allein wird und kann diese topologische Ordnung nur analysieren, nicht aber ändern. Dies kann nur die konsequente und letztendlich auch bewaffnete Konfrontation. Es ist eben dies das große Paradox, dass der entgrenzten Gewalt mit Gewalt begegnet werden muss. Auch und mit Unterstützung von Ländern, die ihre eigene Ordnung auf der Begrenzung von Gewalt konstituieren. Die Heiligkeit der Körper kann nur durch den unheiligen Akt der Opferung dieser verteidigt werden.  


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Sonntag, 14. Juni 2015

Dystopische Utopie - Turbobier als katharisches Theater

„Du bist schön und jung und starkNimm dir was du willstNimm dir was du willstSolang du nur noch kannstVerschwende deine Jugend“-D.A.F. / Verschwende deine Jugend-


„Floschnpfand“, „Fuaßboiplatz“, „Notstandshüfe“, oder eben „Arbeitlos“. Wer sich derzeitig in Österreich mit aktuellen Bands und KünstlerInnen beschäftigt, der wird neben den obligatorischen „Chart-Stars“, wie „Bilderbuch“, „Wanda“, „Nazar“ und den „Makemakes“, an einer Formation nicht vorbeikommen: „Turbobier“1.
Die Jungs Doci Doppler, Fredi Füzpappn, Baz Promüü und der umtriebige Marco Pogo sorgen nicht nur allein wegen ihrer Namen für Knoten in den Zungen ihrer „hoch“deutschsprachigen Fans, sondern begeistern mit ihren Videos zehntausende ZuschauerInnen. Und auch im realen Leben spielt sich die Formation seit geraumer Zeit von einer ausverkauften Location zur Anderen. Den vorläufigen Höhepunkt im Universum „Turbobier“ bildet aber mit Sicherheit das seit dieser Woche erhältliche Album „Irokesentango“.

Doch was steckt hinter den vier, scheinbar immer volltrunkenen, Herrn und ihrem künstlerischen Output?

In der moralischen Entrüstung schwingt auch immer die Besorgnis mit, vielleicht etwas versäumt zu haben.
-Jean Genet-

Der naheliegende Versuch „Turbobier“ als dreckige Stiefgeschwister eben dieser Bands, wie den oben erwähnten „Wanda“ und „Bilderbuch“, zu begreifen ist allein deswegen zum Scheitern verurteilt, da es „Turbobier“ nicht eben nur um die Musik allein geht; denn diese dreht sich Punk/Oi-typisch vordergründig erst einmal um Bier, staatliche Zwangsmaßnahmen zur Wiedereingliederung und Fußball und ist damit, bis auf die Vortragsweise in Wiener Mundart nicht unfassbar innovativ, sondern besticht mehr durch das variantenreiche Spiel mit den genretypischen Klischeefacetten.
Was „Turbobier“ aus der Menge herausragen lässt, ist ihre Verquickung von Musik, Theater, Videokunst und der medialen Präsentation dieses Gemisches über die verschiedensten Netzwerke der digitalen Welt und den Bühnen des deutschsprachigen Raumes.
Es ist deswegen nicht nur der Versuch falsch „Turbobier“ mit anderen Bands zu vergleichen, denn vielmehr grundlegend die Klassifizierung von „Turbobier“ als Band überhaupt. Der Versuch all die dargelegten Bereich der Tätigkeit zu subsumieren weckt deswegen bewusst auch eher Assoziationen zu anderen Künstlerkollektiven, wie „Laibach“ oder auch „Crass“, denn zu Bands, wie „Kraftclub“ oder eben „Wanda“ - „Turbobier“ ein anarchistisches Gesamtkunstwerk!

Gewichtig wird diese Erweiterung des Fokus in Anbetracht eines Zitats von Christoph Schlingensief:

Das ist eben das große Pro von Theater, von Fiktion: dass es sich Dinge erlauben kann, zum Beispiel auf der Bühne jemanden zu töten oder seinen Kopf zu fordern – ohne Konsequenzen. Ich war immer ein Gegner von diesem blöden griechischen Theater, aber, auch hier wieder: Je älter ich werde, desto mehr finde ich es toll, von Katharsis zu reden.“2

Und weiter, den Effekt der Katharsis auf das Individuum begreifend:

Wenn ich eine gute Theaterinszenierung anschaue, genauso wie einen guten Film, dann denke ich inzwischen tatsächlich manchmal: Wie gut, dass der den umgebracht hat, dann brauch ich´s nicht mehr zu machen.“3

Es ist deswegen auch der Moment des Exzesses und dessen theatralische Darstellung die „Turbobier“ von anderen Bands aus dem Bereich des Oi- und Punkrock differenziert.
„Turbobier“ ist per se die proletoide Version von Herman Nitschs „Orgien Mysterien Theater“, was aber keinesfalls als Abwertung zu verstehen ist, denn vielmehr als großes Kompliment. Wo Nitsch über Bedeutungslosigkeit mit mythengeschwängerten Bildern hinwegtäuscht, da generieren „Turbobier“ aus den scheinbar bedeutungslosen Bildern und Aktionen neue Mythen des Seins.

Kommen wir deswegen zurück zu geistigen Steinbrüchen der Band: Das Fundament des Oi bildet vielfach die Konstitution eines, wie auch immer gearteten, Gefühls als „Working-Class“. Über die imaginierte Schichtzugehörigkeit, deren Sedimentierung und die „Lobgesänge“ wird Gemeinschaft generiert und erhalten. Punk ist, oberflächlich geschrieben, zwar ideologisch ausdifferenzierter, verweist aber in seiner Musik im Jahr 2015 in den wenigsten Fälle auf das einstige Motto „No Future“ und verweigert sich damit einer radikalen Ablehnung und Apathie gegenüber dem gesellschaftlichen Fortbestand. „Turbobier“ hingegen wählen als künstlerischen Ausgangspunkt einen stark existenzialistischen Fokus, der das Individuum und dessen aus der Essenz zu schaffende Existenz als primären Zirkulationspunkt wählt.
„Turbobier“ gehen hierbei bewusst weiter. Weiter, als DAF es noch in den 80er taten, als sie ihre HöhrerInnen dazu aufforderten, ihre Jugend zu verschwenden. Bei „Turbobier“ wird das Verschwenden zum primären Moment der Existenz erweitert: Verschwende dich selbst!
Die Verschwendung und damit grundlegend der Moment des Exzesses werden jedoch einer positiven Umdeutung unterzogen: Der Moment des selbstzerstörerischen wird zum hedonistischen Nihilismus.


„Turbobier“ feiern nicht die Option eines richtigen Lebens im Falschen, oder eben die Illusion, dass die kapitalistische Ordnung der Körper eine Inszenierung des Selbst im Korsett der Norm belohnen könnte. „Turbobier“ feiern vielmehr, wenn auch unter einer Schicht von Humor und Sarkasmus verborgen, die Option der bedingungslosen Selbstauflösung des Ichs im masochistischen Rausch als letzten wirklich selbstbestimmten Moment, in einer gesellschaftlichen Ordnung, deren Wesen die Zerstörung des Individuums zwecks sinnentleerter Mehrwertproduktion feiert.
Der „Drangler“ ist deswegen keine „No-Future“ Ikone, denn vielmehr die mythische Ikone, die ihr Sein in gesellschaftlicher Isolation und selbstauferlegter Marter fristet, um, ganz im Sinne Batilles, wirkliche Transzendenz und Individualität erleben zu können. Der „Drangler“ als Märtyrer und die „Hüsn“ als Relikt und Reliquie des kathartischen Aktes den „Turbobier“ in ihrem Theater aufführen, in ihren Liedern besingen und in ihren Facebookposts kreieren. Die, allein und gerade wegen ihres Strebens nach Freiheit und dem Aufzeigen gesellschaftlich hegemonial getarnter Lügenmärchen, positive Antithese zu den Heilsversprechen des glücklichen Menschen in der „Sozialen Marktwirtschaft“.

Alkoholismus ist bei „Turbobier“ deswegen immer als ein sinnlicher Akt zu begreifen, der seinen Vollzug in einer Umgebung erfährt, die ihre Sinnlichkeit und Lust längst in den vollends entleerten Pornos und übersexualisierten Medienformaten aller Art verloren hat. Das Bier ist auch deswegen Fetisch, gerade eben auch in sexueller Natur, weil es eine direkte Sinnlichkeit im Sinne des bloßen Seins verspricht. Das Bier und der Rausch nehmen der Essenz ihre Existenz. Der Rausch wird zum Akt der Zerstörung der Konventionen, das Bier zum Zeremonienmeister, dem „Turbobier“ selbst zudem in einer theoretisch abstrakten Form in ihrem „Format“ der „Bierpartei (BPÖ)“ huldigen.



Die positiven Gesänge über den Rausch, die Suche nach einem offenen Beisl in der Nacht, oder dem Flaschenpfand können und müssen deswegen als lyrische Figuren und Kompositionen verstanden werden, die in ihrem Wesen fast unausweichlich an die lyrischen Bilder Jean Genets gemahnen. Wo Genet Matrosen und Mörder besingt, da sind es bei „Turbobier“ die „Drangler“ und sozial Ausgegrenzten.



Ganz im Sinne Batilles verweist der scheinbar dystopische Akt der Selbstauflösung und Zerstörung immer auf den Moment der Transzendenz, indem die Dystopie in die Utopie kippt und letztendlich bei „Turbobier“ nicht mehr und nicht weniger ist als die völlige Befreiung des Individuums aus den Zwängen des gesellschaftlichen Seins, allen voran die sinnlose Ausbeutung des Selbst für eine Ordnung, die niemals ihre Versprechen eingehalten hat. Die Kunst von „Turbobier“ ist allein deswegen Katharsis, da sie uns einen existenziellen und dystopischen Weg in die Utopie gemahnt. Zugleich aber auch auf das kreative, humorige und gewaltige Potential aller Menschen verweist, die
ihren Frust ziellos sublimieren: Arbeitslos durch die Nacht, dass heißt auch frei durch die Nacht! Prost!


Das Album kann unter: http://turbobier.at/irokesentango bestellt werden. 
Wer sich Turbobier live geben möchte - hier geht das:http://turbobier.at/tour


1In Deutschland wird ein „Turbobier“ eher unter dem Namen „Dosenstechen“ ein Begriff sein. Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Dosenstechen
2Schlingensief, Christoph: Ich weiß, ich war´s, München: Kiepenhauer und Witsch, 2012, S. 104

3Ebd.