Mittwoch, 11. Januar 2012

Über die Inszenierung des Männerbundes in den Serien von HBO

Von den Schützengräben der Normandie über Stripclubs in New Jersey hin zu den Stahlgewittern in den Slums von Baltimore
Die Inszenierung des Männerbundes in den Serien von HBO

Als Ernst Jünger in seinem Essay „Der Kampf als inneres Erlebnis“ im Jahr 1926 den Krieg als das bezeichnete, was den Menschen zu dem mache, was er ist und als Vater einer ganzen Generation junger Menschen, die mehr oder minder unversehrt den Schützengräben des ersten Weltkrieges entstiegen waren, definierte, so bezog er sich dabei vorerst nur auf die Gemetzel des ersten Weltkrieges. Im Gegensatz zu Literaten wie Hemingway oder dem, gerade in Bezug auf die literarische Bearbeitung des ersten Weltkrieges noch bekannteren, Erich Maria Remarque, ästhetisiert Jünger die Schrecken, die Pein und die völlige Zerstörung zivilisatorischer Werte allerdings zu einer Art des „inneren Erlebnisses“, dass auf Seiten des mit den Zuständen konfrontierten Subjekts eine positive charakterliche Wandlung und Festigung hervorzurufen vermag. In eine ähnliche Richtung tendiert aber auch der genannte Hemingway, wenn er die Orte des Schlachtens in seinen Werken zu Stätten der melodramatischen Bewährung und Leidenschaft stilisiert. Auch wenn sich diese Schilderungen in deutlich kritischerer Distanz als bei Jünger vollziehen. Hinzukommt zu dieser individuellen Dimension zumeist die Zugehörigkeit des Mannes zu einem Männerbund, zum Beispiel in seiner Funktion als Soldat, so dass sich die von Jünger beschriebene geistige Evolution in seiner Gesamtheit auf den Männerbund per se übertragen lässt. Wir haben es letztendlich mit einer Gruppe Menschen zu tun, die per Definition durch das Er- und Überleben einer physischen als auch psychischen Extremsituation eine neue Stufe geistiger Reife erklommen haben und zudem  Integration in eine nach außen hin abgeschlossene Gruppe, den Männerbund, erfahren haben. Hieraus resultierend dann auch die Abgrenzung dieses Bundes zum Gros der Restgesellschaft.

Der männliche Körper im Krieg bietet somit gerade für die Bearbeitung mittels des Mediums Film zwei simple Manifestationen, die eine Fokussierung auf ihn ebenso einfach wie ansprechend gestalten. Die Thematisierung des Mikrokosmos des Männerbundes ermöglicht, simplifiziert ausgedrückt, sehr leicht einen Diskurs über gesellschaftliche Manifestationen jeglicher Art auf einer oder mehreren Metaebenen. Dies vollzieht sich dann zumeist im Vergleich „Männerbund versus Gesellschaft“. Über die Qualität eines derart geführten Diskurses sagt aber die Thematisierung allein nichts aus. Wichtiger, als dieser Zugang zu verschiedensten Metaebenen, ist allerdings die erste Ebene der Inszenierung, nämlich die bildhafte Manifestation des Krieges im Film. Der Siegener Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger definiert in seinem Werk „Ritual und Verführung“ den Krieg und somit den sich in diesem Kampf befindlichen Körper als einen Garant für packende Feuerwerke und Spektakel, zusammengesetzt aus Sensationen, Körpern und Bewegungen. Der Film, der kriegerische oder kriegsähnliche Situationen abbildet, ist hierbei die extremste Ausformung  eines  Körperkinos, wobei innerhalb des letzten Jahrzehnts eine visuelle Hinwendung zum Crédo „Mittendrin statt nur dabei“ vollzogen wurde. Der bekannteste Vertreter innerhalb dieser Entwicklung: „Der Soldat James Ryan“ von Steven Spielberg.  Ganz davon abgesehen, welch extremere Effekte das neuartige
3-D Kino noch zu erzeugen vermag.

Von der filmischen Präsentation und auch der, zur Anwendung kommenden, Ästhetik, waren die Serien des amerikanischen Senders HBO von Beginn an klar als Derivate des großen Bruders Kino erkennbar. Anders als zum Beispiel solche Serien wie „Friends“, „Ally McBeal“ oder „Emergency Room“, denen ihre Herkunft immer, dominierend aus dem geringen Budget resultierend, immer ansehen und anzumerken war. Und so verwundert es nicht, das einer der ersten sehr großen Erfolge des Senders HBO, der auch außerhalb der USA große mediale Aufmerksamkeit erregte, unmittelbar an das, im Kino gezeigte, extreme Körperkino anknüpfte. Es handelt sich dabei um die Serie „Band of brothers“. In  Deutschland zusätzlich mit dem Untertitel „Wir waren wie Brüder“ versehen, aus dem Jahr 2001. Die Serie erfüllt hierbei unmittelbar die Erwartungshaltung des Publikums an die Gattung des Kriegsfilms, die Stiglegger unter dem Begriff des Spektakels zusammenfasst. Der Männerbund und dessen Reise durch die Apokalypse des Krieges verkommen in der Serie zu einer plakativen und explosionsgeschwängerten Bebilderung dessen, was zu Beginn dieses Essays in den Worten Jüngers formuliert wurde: Der Krieg als Vater und Erschaffer.
Das Gleiche Rezept   goss HBO im Jahr 2010 dann erneut in Form der Serie „The Pacific“ auf. Wäre der Diskurs um die Gattung des „Quality TV“, der dominierend unter Bezug auf HBO geführt wird, auf diese beiden Serien zu beziehen, so manifestiert sich die Qualität lediglich in der Quantität der effektüberladenden Inszenierung dessen, was Stiglegger als die „Banalität des Todes“ bezeichnet. Der Männerbund in beiden Serien eine „Extrem-Pfadfinder-Gruppe“ auf der Reise durch die fatale Instanz des menschlichen Schicksals, dem mythischen Schauplatz der Apokaylpse – dem Schlachtfeld.
Aber auch in anderen Serien HBO's spielt der Männerbund eine zentrale Rolle in der Ausstaffierung der Handlung. So zum Beispiel in der, neben „Sex and the City“ wohl erfolgreichsten und langliebigsten, Serie des Senders: „The Sopranos“.
Bei Tony Soprano und seinen italienisch-amerikanischen Gangsterkollegen wird erneut ein Männerbund als Zentrum und Ausgangspunkt der Handlung fokussiert. Nicht umsonst treffen sich die Akteure entweder in einem Strip-Club oder vor einer Metzgerei. Beides per se Berufe des Mannes, wobei sich die Ausübung des Berufes beim Strip-Club auf das Betreiben, nicht das Tanzen bezieht. Wiedereinmal, ganz ähnlich der handlungstragenden Gruppe in der Serie „Band of brothers“, wird der Männerbund um Tony Soprano durch den Kampf definiert. Hierbei allerdings nicht in Form des zweiten Weltkrieges, sondern immer in Form, mehr oder minder akuter und drastischer, kriegerischer Auseinandersetzungen mit feindlichen kriminellen Gruppierungen. Und erneut wird uns auch innerhalb der Serie eine Art des extremen Körperkinos geboten, das am drastischten in Inszenierungen von Gewaltexzessen manifestiert. So sind wohl die prägnantesten Szenen innerhalb der Serie die Morde, allen voran der der dritten Staffel, in dem eine schwangere Frau umgebracht wird. Hierbei fungieren diese inszenierten Manifestationen der Gewalt erneut als Elemente der Seduktion, ganz im Sinne Stigleggers.
Im Gegensatz zur Serie „Band of brothers“, in dem die performative und spektakelhafte Inszenierung des kämpfenden Körpers dominierte, thematisiert die Serie aber, abseits der obig beschriebenen Aspekte der Seduktion, vielmehr die  Bedeutung des Männerbundes für das in ihn integrierte Subjekt und zugleich den Stellenwert des Mikrokosmos Männerbund in Bezug auf den Makrokosmos Gesellschaft. Im Fall der „the Sopranos“ die Stadt New Jersey. Diese Thematisierung der verschiedenen Ebenen und somit der diversen Metaebenen gelingt der Serie aus zweierlei Gründen nahezu perfekt. Zum einen ist es die physische Größe der Serie mit 86 Episoden a 55 Minuten, gebündelt in sechs Staffeln und somit einer Gesamtlaufzeit von 4730 Minuten. Und anders als bei „Band of brothers“ oder „Rome“, der anderen großen Mini-Serie HBO's, wird dieses mehr an Laufzeit innerhalb der „The Sopranos“ nicht, wie bei den beiden erst genannten Serien, genutzt, um eine, den Konventionen des Kinos entsprechende, Erzähl- und Visualisierungsstruktur auf zehn oder noch mehr Stunden aufzublasen, sondern die innerhalb der Serie behandelten Gegenstände werden in eine auf allen Ebenen multiperspektivisch angelegte Struktur eingebettet. Dies zeigt sich insbesondere in der Darstellung der Wechselwirkung zwischen dem mafiösen Männerbund und dem kleinbügerlichen Familienleben der Hauptfigur Tony Soprano. Diese Wechselwirkung kann  für die Gesamtheit der Serienhandlung als dominierend definiert werden kann.
Da sich jedoch die Serie „The Sopranos“ auf eine festgelegte und zudem relativ überschaubare Menge an Hauptakteuren und auch Akteurinnen beschränkt, bleibt die Serie letztendlich doch zu einem großen Teil gewissen Konventionen des klassischen Erzählkinos treu. So werden zum Beispiel alle Haupterzählstränge bis zu einem Ende geführt und auch bei beigeordneten Erzählungen ist fast immer eine Fortführung bis zu einem, für das Publikum mehr oder minder plausiblen Ende, vorzufinden. Zudem bedingt die Fokussierung auf die Familie Soprano und deren Entwicklung über einen, von der Sendung, definierten Zeitraum, dass Hauptcharaktere nicht beiläufig aus der Sendung Desintegration erfahren. Sei es nun durch Mord, Unfälle oder andere Ereignisse. Die Integration oder Desintegration von Figuren, die der Fokussierung der Handlung, im Fall der Serie also die Lebenswelten der Famile Soprano, unterliegen, bildet immer einen Höhepunkt innerhalb der Erzählstruktur. Auf derart gestaltete Höhepunkte arbeitet die Erzählstruktur innerhalb der einzelnen Staffeln – und hierbei haben wir es mit klassischen Erzählkino ala Hollywood zu tun- hin.

Ein weiteres Format bei dem das Publikum mit verschiedenen Ausformungen des Männerbundes Konfrontation erfährt, ist das Format „The wire“. Jedoch spreche ich schon in diesen einleitenden Zeilen bewusst von Männerbünden, da die Serie mit dem, was zuvor bezogen auf die Erzählstrukturen der Serien „Band of brothers“ und „The Sopranos“ konstatiert wurde, vollends bricht. Weder erweitert die Serie „The wire“ einen klassischen Kriminalfilmplot auf Serienlänge, noch fokussiert sie, wie „The Sopranos“, eine definierte Personengruppe, um diese darzustellen. „The wire“ gestaltet seine Darstellungen vielmehr kaleidoskopartig, gar kubistisch, wobei der Gegenstand der  sich immer in den Darstellungen, sei es direkt oder indirekt, findet die Stadt Baltimore ist. Folgerichtig bricht die Serie mit so ziemlich allen Konventionen des klassischen Erzählkinos. Klassische Filmtheorien, wie die James Monacos, greifen den Gegenstand somit kaum noch und auch neuartige Theorien, wie Stigleggers Seductionstheorie, würden den Gegenstand zu Teilen entkontextualisieren und sind somit nicht in der Lage seine Gesamtheit zu erfassen. Zumal Stigleggers Theorie sich zunächst nur explizit auf das Medium des Spielfilms bezieht. Innerhalb der Serie „The wire“ ist zwar vieles an Erzählstrukturen noch vorhanden - Charakterzeichnung, Handlungserzählung, Inszenierung von klassischen Actionszenen uvm. - jedoch nur noch fragmentarisch. Die Serie ist nicht daran interessiert dem Publikum eine Geschichte zu Erzählen, die bei Punkt A beginnt und bei Punkt B endet. Und dennoch bricht die Serie nicht, wie Beispielsweise die Filme Daivd Lnychs, vollends mit Strukturen des konventionellen Erzählens und reduziert das Dargestellte auf sich selbst. Vielmehr weisen alle Facetten innerhalb der kaleisdoskopartigen Inszenierung, gemäß den Bildlogiktheorien von Dieter Mersch, über sich selbst hinaus, sind ikonographisch gestaltet und zeigen somit zugleich immer, neben ihrem eigentlichen Sein, die Existenz einer Metaebene aus. „The wire“ fächert so vor dem Publikum ein Bild, bestehend aus vielen Facetten, auf und integriert zugleich durch das fragmentarische Erzählen von Geschichten und somit auch Zusammenhängen, Wechselwirkungen zwischen diesen verschiedenen Facetten. Letztendlich ist dies das zentrale Konzept der Serie, dem ästhetische, als auch erzählerische Gestaltung nur Zuarbeiten. Es geht um die Wechselwirkungen und Beziehungen von Kollektiven und Subjekten innerhalb einer definierten gesellschaftlichen Struktur. Der Männerbund ist hierbei nur ein Kollektiv, eine Struktur unter vielen. Die Serie möchte nicht erzählen und damit ikonographisch diskutieren, vielmehr möchte sie die den Facetten zugrundeliegenden Strukturen, die sie von Sendung zu Sendung ausbreitet, thematisieren und ihre ständige Evolution diskutieren.
Letzten Endes aber bildet „The wire“ nur eine kleine Ausnahme innerhalb der Masse der Fernsehinszenierungen. Das am Ende dann doch Serien, die sich der gewöhnlichen und bekannten spektakelhaften Inszenierung des Männerbundes widmen mehr Interesse und vielfach größere Ausgestaltung erfahren, davon zeugen die filmgewordenen Männerphantasien der Serien „Spartacus: Blood and Sand “ und „Sons of anarchy“ .

Literatur:

Jünger, Ernst: Der Kampf als inneres Erlebnis, Berlin, 1926
Fuchs, Christian: Körpertheorie des Films I. Let's get physical. Anmerkungen zum Körperkino, in: :Ikonen:.Magzin für Kunst, Kultur und Lebensart, einzusehen unter: http://www.ikonenmagazin.de/ikonenframe.htm. Letzter Zugriff am 11.12.2011 um 16:37 Uhr.
Stiglegger, Marcus: Ritual und Verführung. Schaulust, Spektakel und Sinnlichkeit im Film, Berlin, 2006




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