Freitag, 23. März 2012

Gedanken zum kulturindustriellen Wandel des Ausnahmezustandes in der seriellen Produktion

We need a hero! Oder auch zwei!
Gedanken zum kulturindustriellen Wandel
des Ausnahmezustandes in der seriellen Produktion




„Where have all the good men gone
And where are all the gods?
Where's the street-wise Hercules
To fight the rising odds?
Isn't there a white knight upon a fiery steed?
Late at night I toss and turn and dream
of what I need“1

Als Bonnie Tyler die obigen Zeilen in ihrem 80iger Jahre Hit „Holding out for a hero“ trällerte, so geschah dies, mit aller Wahrscheinlichkeit, im Unwissen darüber, dass eben diese Zeilen sich über zwei Jahrzehnte später zur inhaltlichen Zusammenfassung fast aller aktuellen us-amerikanischen Serienformate eignen würde. Völlig davon abgesehen, dass der ästhetische Retrotrend, der die vergangenen Jahre dominierte und in seiner Fokussierung sich maßgeblich an einem imaginierten homogenen Stil der 1980er Jahre orientierte und immer noch orientiert, einen solchen Rückgriff auf das Bonnie Tyler Stück auch von rein ästhetischer Seite aus ermöglichen würde.

Innerhalb der letzten Jahre haben sich viele Gesellschaften, insbesondere die Amerikanische und die der europäischen Union in einem rasanten Tempo verändert. Und es seien an dieser Stelle die extremen Entwicklungen in Ländern wie China, Russland oder Indien völlig ignoriert.
Diesen Trend der rasanten Veränderungen aufgreifend und vom Willen beseelt, einen gesellschaftsübergreifenden Terminus zu formen und zu diskutieren, titelte das Magazin „Bahamas“ im Frühjahr 2009: „Die Sehnsucht nach dem Ausnahmezustand“. In gleichem Unwissen über ihr Handeln, wie Bonnie Tyler anno 1980, ahnten auch die Redakteure der Zeitschrift „Bahamas“ im Jahr 2009, also gute drei Jahre vor dem Niederschrieb dieses Artikels, sicherlich nicht, dass ihr Terminus des Ausnahmezustandes nicht nur als Titel für die damalige Ausgabe taugte, sondern, dass der Begriff des „Ausnahmezustands“ eigentlich den Terminus schlechthin abbildet, der viele Gesellschaften und deren Handeln, bis zum jetzigen Zeitpunkt treffend beschreiben kann. Der Ausnahmezustand, die Headline des Postkapitalismus.
Der Ausnahmezustand ist überall allgegenwärtig und das nicht erst seit 2009. Jeden Tag erreicht uns eine solche Masse von Nachrichten über die diversen Ausnahmezustände, so das wir diese Nachrichten, einerseits, nicht nur schneller als den letzten, schlechten, wöchentlichen „Tatort“ vergessen, anderseits aber die Flut von Ausnahmezustände nicht mehr als besondere und in ihrer Form einzigartige Ereignisse begreifen, sondern sie als gesellschaftlichen Normalzustand akzeptieren und rezipieren.
Diese Art der gesellschaftlichen Rezeption wird besonders auffällig in Anbetracht des Inhaltsverzeichnis der, obig bereits erwähnten, „Bahamas“ Ausgabe aus dem Jahr 2009. Auf der einen Seite finden sich hier Themen, die Ausnahmezustände beschreiben und diskutieren, die längst aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden sind: Kaukasuskrieg 2008? Ach ja, da war ja was! Auf der anderen Seite und diese Seite überwiegt die erste quantitativ, finden sich aber diverse Themen, die so in ihrer Form der aktuellen Tagespresse aus dem Jahr 2012 entstammen könnten: Die USA diskutieren eine neue Strategie gegen die Taliban ? Ach ja, der Krieg gegen den Terror läuft nun ja auch schon über zehn Jahre!
Auch im Jahr 2012 lässt sich diese Reihe der Ausnahmezustände in unendlicher Anzahl fortsetzten: Bundespräsidenten kommen und gehen, mal wegen kritischen Anmerkungen zur Bundeswehr, mal wegen kritischer Privaturlaube. Ebenso kommt und geht die Zahlungsfähigkeit von Ländern der europäischen Union, von dem Kommen und Gehen der Soldaten und bewaffneten Entwicklungshelfern, deren Einsatzorte zur Bekämpfung des Ausnahmezustandes sich fast täglich ändern, mal ganz zu schweigen. Um eine lange Geschichte kurz zu machen: Der gesellschaftliche Ausnahmezustand hat sich längst als gesellschaftlicher permanenter Normalzustand etabliert.
Das sich dieser Wandel auch in der Kulturindustrie niederschlägt, muss, unter Berücksichtigung der Bedeutung der Kulturindustrie und ihrer Wechselwirkung mit den gesellschaftlichen Umständen, die sie produziert und zugleich reproduziert, als logisch angesehen werden. Für diese Feststellung bedarf es dann noch nicht einmal einer „Dialektik der Aufklärung“, sondern nur eines Fernsehapparates, der dazugehörigen Fernbedienung und einem kurzem Rundgang durch die allabendliche TV-Serienlandschaft. Ohne direkt der negativen Dialektik eines Theodor W. Adorno zu folgen, kann diese Wechselwirkung zuerst einmal völlig wertfrei konstatiert werden.
Einen besonderen Stellenwert innerhalb dieser Produktion von Kulturgütern und der obige Verweis auf die aktuellen TV-Serien deutete diesen Umstand bereits an, muss hierbei der Produktion von Serien zuerkannt werden. Nicht nur weil diese, von ihren Produktionskosten und ihrem Stellenwert in der gesamtgesellschaftlichen Rezeption, mittlerweile sich dem Kino ebenbürtig gestalten, sondern gerade auch deswegen, weil sie, durch ihr inneres Wesen bedingt, als ein direkter Spiegel und Kommulationspunkt der Gesellschaften, der sie entspringen, angesehen werden müssen.
Und so ist es der Moment des gesellschaftlichen Ausnahmezustandes der, der in vielen Serien sowohl grundlegend die Thematik definiert, als auch der, der aus seinem Wesen heraus, das Handeln und Agieren aller Akteure und Akteurinnen bestimmt.
So unterwirft sich die Frauenclique in der HBO Erfolgsserie „Sex and City“ zwang- und wahnhaft immer wieder den neusten Trends der Schuh-, Taschen- und Vibratorenmode. Immer im Wissen darum, dass nur durch diesen Konsumismus ihre Milieuinklusiuon aufrecht erhalten werden kann. Das dieser, sich zyklisch wiederholende, Versuch der Inklusion letztendlich nur das zwanghafte und systembedingte Scheitern der individuellen Vergesellschaftung in einer Umgebung, die eben diese Vergesellschaftung auf einen Prozess der Warenakquise reduziert hat, thematisierte interessierte aber das Hauptklientel der Serie wahrscheinlich eher weniger. Anders ist es nicht zu erklären, warum das Wissen um Markenschuhe und die neusten oralen Sexualtechniken für Frauen mittleren Alters mittlerweile als Allgemeinbildung, quer durch alle Gesellschaftlichen Milieus, gelten.
Ähnlich verhält es sich in der Bewertung des Actionhelden Jack Bauer, Hauptakteur der Serie „24“. „24“ unternimmt erst gar nicht den Versuch, den Ausnahmezustand, den die Serie abbildet, geschickt zu verschleiern. Es gibt Terroristen, es gibt ein Zeitlimit von 24 Stunden und es gibt Jack Bauer, der eben diese Terroristen zur Strecke bringen muss, komme was da wolle. Und es kommt in der Tat ziemlich viel. In Folge dieser permanenten Eskalationen schießt, foltert und mordet sich der Agent Jack Bauer fröhlich durch die Serie, immer legitimiert durch sein höheres Ziel, den Ausnahmezustand, geformt durch die von den Terroristen gebildete Gefahr, zu brechen und damit zu überwinden. Im Gegensatz zu dem Handeln, was die Frauen und Männer in der Serie „Sex and the City“ zur Schau stellen, dass in seiner Fokussierung auf Kaufrausch, Sex und der Sehnsucht nach Zuneigung, nur als Reaktion auf die, sie umgebenden Zustände, zu werten ist, so formt das Handeln des Jack Bauer ein Ideal der Handlungsmacht im Umgang mit dem Ausnahmezustand: Das des Souveräns.
Für Bauer gelten keine Gesetze, nicht einmal die, die den Staat, den er beschützen will, konstituieren. So mordet Bauer zum Beispiel einen Terroristen aus dem Zeugenschutzprogramm, um mit dessen abgetrennten Kopf Zugang zu einer weiteren Bande von Terroristen zu finden. Sowieso muss der Typus des Souverän oder, um im Seriensprachgebrauch zu verweilen, der des Helden, als Typus angesehen werden, der, gleich dem Ausnahmezustand, dem er entspringt, in vielen Serien anzutreffen ist.


Diese Form der Darstellung verwundert insofern nicht, da sie eine logische Reaktion auf den dargestellten permanenten Ausnahmezustand und dem Umgang mit eben diesem bildet. Ein Staat, der in seinem inneren Sein durch den permanenten Ausnahmezustand definiert wird, ist nicht mehr in der Lage seinen Pflichten, die ihn eigentlich erst als Staat konstituieren, nachzukommen. Es obliegt somit dem Souverän dieses Defizit an staatlichem Agieren durch sein eigenes Sein und sein eigenes Handeln zu kompensieren. Jack Bauer vereint, um der akuten Bedrohung der Terroristen Herr zu werden, in seiner Rolle Judikative, Legislative und letztendlich Exekutive. Er ist somit zum einen klassischer Superheld, zum anderen aber die totale Negation staatlicher Gewaltenteilung. Die propagierte Auflösung der Gewaltenteilung wird somit konkret zur Metakommunikation der Serie, gebildet durch das Wesen der Serie selbst. Allerdings ist eine völlige Ablösung des Souveräns vom Staat innerhalb der Serie so nie nachzuweisen. So extrem Jack Bauer in seiner Rolle als Souverän dem Staat entgegensteht, so sehr ist er zugleich dessen Diener: Agent. Jack Bauer ist somit in seiner Funktion eher weniger „Batman“ oder „Superman“, denn Angestellter, der vollends und allumfassend die ihm zugetragenen Aufgaben löst. Er verkörpert par exellance das Ideal des Beamten. Die von den Serien verübte Kritik am Ausnahmezustand, dem defizitären staatlichen Agieren und auch die von der Serie behandelten Lösungsansätze verkommen somit zu einem Modell regressiver Staatskritik.
Ein Modell des Gegensouverän wird gefordert und propagiert, dass Max Horkheimer in seinen Schriften als „Autoritären Staat“ beschreibt und der, im völligen Gegensatz zu den Vorstellungen von Max Weber bezüglich eines Staates, aktiv und autoritär zwischen den verschiedenen, in ihm agierenden Kräften, agiert und waltet.



Im Besonderen greift diese Form der regressiven Staatskritik in der Serie „Sons of anarchy“. Diese Serie, die von einem Outlaw-Motorradclub, ähnlich den „Hells Angels“, handelt, der durch Partizipation am überregionalen Drogen und Waffenhandel und damit verbundene aktive Akkumulation von Kapital, versucht die wirtschaftliche Globalisierung aus der imaginären Stadt Charming fernzuhalten, formuliert den Wunsch nach einem autoritären Staat par exellance.
Nicht Terroristen oder die neusten Schuhe bilden hier den Ausnahmezustand, sondern das kapitalistische Wirtschaftssystem selbst. Insbesondere dessen globale Dimensionen, wie überregional agierende Unternehmen, werden in der Serie als Ausnahmezustand definiert, vor dem es die Stadt Charming zu bewahren gilt. Und diese Aufgabe des Bewahrens obliegt nicht dem Staat, oder im Falle Charmings der Lokalpolitik, sondern den Outlaw Bikern. Gemäß dem Motto Minus und Minus ergibt Plus formuliert die Serie den Anspruch, dass ein Ausnahmezustand bekämpft durch einen anderen Ausnahmezustand letztendlich zum Normalzustand zu führen habe.
Diese Darstellung und auch, die sich aus ihr heraus formulierende, Kritik ist aber nicht nur wegen dieser (un)logischen Schlussfolgerung der sich aufhebenden Ausnahmezustände ein zweischneidiges Schwert. Die Serie „Sons of anarchy“ formuliert in ihrer Darstellung des Ausnahmezustandes eine marxistisch motivierte Kritik. Nicht das Außergewöhnliche, sprich die Krise formt den Ausnahmezustand, sondern die dauerhafte Akkumulation des Kapitals selbst führt, aus ihrer eigenen Logik heraus, zu dauerhaften Prozessen der Krise und somit zu dauerhaften Ausnahmezuständen. Das Kapital in diesem Ausnahmezustand ist nur noch selbstzweckhaftund ernennt sich selbst zum System.
Der Entwurf der Gegenstrategie, die die Serie aber, in Anbetracht dieser Situation erschafft, ist mehr als gefährlich. Zuerst reduziert sie die Gesellschaft auf eine sehr kleine Einheit, die unter sich nur noch die Familie hat. Die dörfliche Gemeinschaft, der Klan. Dieser Klan nun wird durch die obige Situation, den Dauerzustand der Kapitalakkumulation, bedroht. Und die Lösung, die die Serie in Bezug auf diese Problematik formuliert, ist eine simple: Der Wunsch nach einem autoritären Staat, der in der Serie in Form eines Motorradclubs auftritt und agiert. Es ist nicht nur dieser Wunsch nach Autorität und einem Souverän, der diese Darstellung so unsympathisch gestaltet, sondern vor allem ihr Fall in die Barbarei. Ein Fall der sich aus dem Wunsch nach, von einem Souverän hergestellter, Harmonie speist. Vernichtung divergenter Faktoren, die dieser Harmonie entgegenstehen, inklusive. Es ist dieser Umstand, der die Serie erschreckend nah an ein gesellschaftliches Ideal der nationalsozialistischen Gesellschaft rückt. Wenn also die Biker in der zweiten Staffel der Serie gegen eine überregionale Bande, die in Form einer Nazivereinigung Darstellung findet, kämpft, um deren globalisiertes Geschäftsmodell aus der Stadt fernzuhalten, so stehen Biker und Nazis zumindest ideologisch Hand in Hand dar, auch wenn der Kampf gegen die Nazis natürlich oberflächlich perfide einem Antifaschismus huldigt. Das dieses Ideal der wehrhaften Volksgemeinschaft aber von Seiten der Zuschauerinnen und Zuschauer nicht bewusst rezipiert wird, liegt an der seduktiven Verkleidung der ganzen Serie, die mit ihren Momenten, die vom erotischen Männerbund bis hin zur „Happy End“ Liebesgeschichte alle Register medialer Verführung zieht.



Auch in Serienformaten, die im Allgemeinen nicht diesem Bereich der kulturindustriell gefertigten Serie zugerechnet werden, sondern in ihrer Art als Refugium einer Art „Hochkultur“ definiert werden, finden sich solche Zugänge zur Darstellung von Gesellschaft. Das beste Beispiel hierfür bildet die Serie „The Wire“.
Auch wenn „The Wire“ schon, einzig aus dem Grund seiner formal-ästhetischen Struktur, dem Aufbau und die Aufteilung der gesamten Serie in verschiedene Facetten, dem Vorwurf umgeht, eine stringente Handlung abzubilden und somit ähnlich wie „24“ oder „Sons of anarchy“ konkrete Positionen abzubilden, so sind innerhalb der Serie doch immer wieder Aspekte, selbst in stark das Format dominierender Ausgestaltung, auszumachen, die sich Formen des seriellen Erzählens annähern. Auch wenn „the wire“ seine Handlungsstränge in einzelne Facetten aufteilt, manche Stränge nie zu Ende erzählt oder im Gegenzug andere erst viel später im Verlauf der Serie wieder aufnimmt, so gibt es doch innerhalb der Serie gewisse Facetten, die innerhalb der jeweiligen Staffel starke Betonung finden und zumeist als Grundlage die Thematik der einzelnen Staffeln darstellen. Es sei hier nur an die Ermittlungen gegen Avon Barksdale aus Staffel 1, das Hamsterdamprojekt aus Staffel 3 oder den Serienmörderkomplott aus Staffel 5 erinnert, die staffeldominierende Erzählungen abbilden. Diese grundlegenden Strukturen der Handlung formen auch innerhalb von „The Wire“ Strukturen, die ganz ähnlich zu „Sons of anarchy“ einen gesellschaftlichen Ausnahmezustand formen. Gleicher Art gestaltet sich auch die Darstellung des kapitalistischen Wirtschaftssystem. Die Kapitalakkumulation ist zum System selbst geworden und somit zum reinen Selbstzweck. Immer größere Teile der Gesellschaft werden aus dem Prozess der Kapitalproduktion exkludiert. Selbst Baltimoore, die Stadt in der sich die Serie verortet, ist Symbol für eine dergestalte Exklusion. Und an diesem Punkt der Exklusion beginnt die Inszenierung und auch die Kreation einer Kritik, die die Serie vollzieht: „The Wire“ führt uns, als Rezipienten, nicht die Jugendlichen vor, die gelangweilt von ihrem Leben und getrieben von der Hoffnung nach Sicherheit und Anerkennung an der Baltimoore University ihr Studium betreiben, sondern die Serie entführt uns in ein, aus vielen Facetten zusammengesetztes, nie homogen erscheinendes, Bild urbaner Stadtteile, in denen die, vom Produktionsprozess ausgeschlossenen, Individuen ihr Dasein fristen. „The wire“ ist an dieser Stelle genauso Inszenierung wie die Kleinstadt Charming bei „Sons of anarchy“ oder die mondänen Appartements der New Yorkerinnen in „Sex and the city“. Es ist Grund dessen nur logische Konsequenz, dass auch „The Wire“ Lösungsansätze bezüglich der, von ihr dargestellten, Problematiken inszeniert.
Diese Inszenierungen sind aber und hierbei stehen sie im krassen Gegensatz zu „Sons of anarchy“ oder auch „24“ nur oberflächlich im Geiste des Wunsches nach einem autoritären Staat geformt. Im Sinne dieses Geistes sind zwar die Methoden von McNaulty oder von Major Colvin als nichts anderes als die Evolution des Individuums zum Souverän und die dadurch bedingte kurzzeitige Überwindung der systemimmanenten Spielregeln zu werten, jedoch ist eben diese Evolution letztendlich nicht Erfolgsgarant. Während in „24“ oder „Sons of anarchy“ der Bruch der Regeln und das Handeln gegen systemimmanente Defizite zur Auflösung dieser systemimmanenten Fehler führt, so führt das Handeln der Akteure in „The Wire“ lediglich zu oberflächlichem kurzzeitigen Veränderungen. Das System aber bleibt das Gleiche. Die Inszenierung von „The Wire“ bezüglich des gesellschaftlichen Ausnahmezustandes ist somit zweierlei: Zum einen Kritik an einem defizitären System, dass seine Defizite aber immer zyklisch selbst reproduziert und das den Ausnahmezustand durch seiner Selbst Willen zur Norm generiert. Dies ist letztendlich der Aspekt, der der Serie immer wieder als kulturdiagnostisches Potenzial zugeschrieben wird.
Anderseits aber kritisiert die Serie die Form der Meinungs- und Gesellschaftsproduktion, wie sie die Kulturindustrie in Form der seriellen Produktion vornimmt. Die kurzsichtige, regressive, strukturell antisemitische und emanzipationsfeindliche Kritik am Kapitalismus. Der propagierte Rückschritt in die Volksgemeinschaft und somit die direkte Entscheidung für die Barbarei. Womit wir zum Ende dieses Artikels wieder bei Adorno und Horkheimer und deren Dialektik der Aufklärung angekommen wären und wenn wir nun die ersten Zeilen des Bonni Tyler Liedes, das was uns Serien wie „Sons of anarchy“ oder „24“ propagieren betrachten, so müsste Adornos Satz aus seinem Aufsatz Kulturkritik und Gesellschaft eigentlich umformuliert werden:

Nach Ausschwitz eine Serie zu machen, ist barbarisch.

Quellen:

Fisher-Lichte, Erkika: Ästhetik des Performativen, Frankfurt am Main, 2004
Horkheimer, Max; Adorno, Theodor W.: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Frankfurt am Main, 1988
Siemionek, Peter; Worm, Anja: Die Lizenz zur Krisenlösung. Zum Wandel einer kulturindustriellen Ikone, in: Bahamas Nr. 57. Die Sehnsucht nach dem Ausnahmezustand, Berlin, 2009
Krug, Uli: Apparatur der Panik. Zum Funkstionwandel der Krise, in: Bahamas Nr. 57. Die Sehnsucht nach dem Ausnahmezustand, Berlin, 2009
1Bonnie Tyler: „Holding out for a hero“, Strophe 1

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