Mittwoch, 11. Januar 2012

„Aggro Berlin“ und die Rebellen, die eigentlich nie welche sein wollten

Gesellschaft ändert dich –
„Aggro Berlin“ und die Rebellen, die eigentlich nie welche sein wollten

Als der Berliner Rapper „Bushido“1 im November 2011 den „Bambi für Integration“
erhält ist der Aufschrei groß. Noch am selben Abend, während der Gala empört sich
der Sänger der Band „Rosenstolz“, Peter Plate, über das „nicht korrekte“ Verhalten,
was in der Verleihung eines solchen Preises gegenüber „Bushido“, einem in Plates
Augen Erschaffer und Propagandisten menschenverachtender Lyrics, zum Ausdruck
kommt. Und schon am nächsten Tag zerrte die „Bild“ den Schlagersänger Heino aus
seinem Rathauscafé in Bad Münstereifel in das Licht der bundesrepublikanischen
Öffentlichkeit, um an dessen Reaktion auf die Verleihung des Preises an „Bushido“,
nämlich die Rückgabe seines eignen Preises von anno dazumal, nochmals in voller
Länge alle Kritik durchzuexerzieren, die dem deutschen Gangster-Rap seit Beginn
seiner Entwicklung immer entgegengebracht wurde.
Doch ist der Diskurs, den die „Bild“ erneut formuliert, einer der die Entwicklung und
die gesellschaftlichen Strukturzusammenhänge der letzten Jahre völlig verkennt und
zudem vollständig missinterpretiert. Die Verleihung des „Bambi für Integration“ an
den Rapper „Bushido“ der zu diesem Zeitpunkt schon lange nicht mehr beim Label
Aggro Berlin, das sich zudem im Jahr 2009 selbstaufgelöst hatte, unter Vertrag
steht, markiert nicht einen erneuten Kommulationspunkt eines gesellschaftlichen
Diskurses um das Gerne des Gangster-Rap, der immer wieder an den gleichen
Akteuren festgemacht wird. Nein, die Verleihung symbolisiert vielmehr höchst
ikonografisch das Ende einer langen Entwicklung. Die gesellschaftliche Akkulturation
und Assimilation des deutschen Gangster-Rap, für den „Aggro Berlin“
versinnbildlichend steht. Der Bambi verändert unter der Prämisse einer solchen
Entwicklung seinen konkreten Bezugspunkt. Gleichfalls wird das Handeln des
Rappers „Bushido“ stellvertretend für alle anderen Rapper, die eine identische
Entwicklung innerhalb der letzten Jahre vollzogen haben, symbolisch aufgewertet. Im
Sinne des französischen Philosophen Jean Baudrillards wird sowohl der Bambi, als
auch „Bushido“ zum Simulakrum der Simulation. Ihr originärer Sinn verflüchtigt sich
innerhalb der Reproduktion und wird durch gesellschaftliche Zuweisungen neu
besetzt. Nicht eine subjektbezogene Handlung des Rappers Bushido, bezüglich des
Feldes der Integration, findet Honorierung durch die Verleihung, vielmehr wird das
gesamte Handeln einer Personengruppe und deren Assimilation in den
gesellschaftlichen Normalzustand symbolisch belohnt. Der Bambi wandelt sich
hierbei vom konkreten Symbol hin zu einer symbolischen Belohnung der
Gesellschaft, die ihre einstigen Abtrünnigen in ihrer „Mitte“ willkommen heißt.
Interessanterweise wird dieser Prozess während der Verleihung nicht nur
symbolisch, auf einer Metaebene vollzogen, sondern sowohl vom Symbol Bushido,
als auch vom Laudator Peter Maffay, selbst betont und teilweise sogar reflektiert. Das
Maffay innerhalb dieser Konstellation, Grund seines Werdegangs in der deutschen
Gesellschaft, dabei genauso Symbol ist wie „Bushido“, dürfte klar sein. Maffay steht
nochmals versinnbildlichend für das, wofür „Bushido“ stellvertretend belohnt wird: Die
Vergesellschaftung des Subjektes und die damit einhergehende Auflösung, Revision
und Nihilierung des eigen Rebellionsgestus. So betont Maffay während seiner
Laudation, dass ein solcher Preis „Versöhnung und Neubeginn“ sei. Maffay betont
damit letztendlich den Moment der Transgression der diesem gesamten Prozess
innewohnt. Der Preis als Zeichen für den Beginn des Lebens in der Gesellschaft und
einen der Neubeginn als ein Leben nach den von der Gesellschaft gesetzten Regeln.
„Bushido“ betont diesen Moment zwar auch, indem er sich eine zweite Chance als
verdient einräumt, wobei die zweite Chance hierbei das meint, was Maffay als
Neubeginn deklariert, jedoch fokussiert der Hauptteil seiner Rede einen anderen
Aspekt, nämlich die Grundlage für die erfolgreiche Assimilation. Zentral ist hierbei
die Stelle, in der „Bushido“ betont, dass er heute sicherlich nicht mehr das gleiche
sagen werde wie vor zehn Jahren und wichtiger noch, dass er gelernt habe, dass
das Gesagte falsch sei. Das Gelernte bezieht sich hierbei, logischerweise, auf die
gesellschaftlichen Regeln, denen sich das Subjekt sowohl physisch, als auch
psychisch, unterwirft. Die Feststellung, dass das Gesagte falsch sei, ist eben dann
auch eine Schlussfolgerung, die unmittelbar aus der Vergesellschaftung des Subjekts
resultiert. Sie bricht mit alten kulturellen Manifestationen und nihiliert deren
Gegenstände. Ferner schwingt in dem Bruch zugleich ein Bekenntnis zu dieser
eigenen Entwicklung mit. Das ehemals Fremde wird total zum Eigenen. Ganz gemäß
dem simmelschen Kredo: „Ein Fremder ist ein Mensch der heute kommt und morgen
bleibt.“ Wobei das, was Simmel als Charakteristika dem Fremden zuweist, die
Gleichzeitigkeit von Nähe von Ferne und ein daraus resultierendes abstraktes
Wesen, innerhalb des Prozesses der Assimilation getilgt werden.
Dieser Prozess ist zum Einen für die Entwicklung des deutschen Gangster-Rap,
dessen populärkulturelle Wurzeln eng mit dem Werdegang des Labels „Aggro
Berlin“ verschmolzen sind, ikonisch, zum Anderen aber auch im Generellen für den
gesellschaftlichen Umgang mit Subkultur. Jedoch sei an dieser Stelle betont, dass
es sich bei dem Prozess, der sich in der ikonografischen Performance der
Bambiverleihung verdichtete, nicht um einen in sich abgeschlossenen handelt,
sondern vielmehr um einen zu allen Seiten hin offenen Prozess. So ist
Zirkulationspunkt natürlich die abgeschlossene Entwicklung eines Teils der Gangster-
Rap-Subkultur, andererseits zeigt der Prozess aber auch stereotyp einen Werdegang
für andere Gesellschaftsgruppen auf. Die Performance der Verleihung und die
verschiedenen gesellschaftlichen Prozesse, die diese auf ihren Metaebenen abbildet,
sollen zugleich symbolisch einen Prozess in seiner Gesamtheit beschreiben.
Polemisch ließe sich die Gesamtheit dieses Prozesses, bei dem es sich letzten
Endes um eine totalitäre Assimilation dessen, was von der Gesellschaft als das
Fremde definiert wird, handelt, in dem Satz zusammenfassen: Werdet wie wir und
ihr werdet belohnt. Wobei die Belohnung für den Vollzug dieses Prozesses dann
nicht im Bereich von Preisen liegt, sondern sich um Felder wie gesellschaftliche
Anerkennung, Akzeptanz, Partizipation in der Gesellschaft dreht.
Um die Wurzeln dieser Entwicklung noch anschaulicher fassen zu können und auch
um eine grundlegende Besonderheit der Subkultur des Gangster-Rap aufzeigen zu
können, sollen im folgenden einige Worte zur Entwicklung „Aggro Berlins“ vorgelegt
werden, dessen grundständige Struktur bereits im Titel dieses Essays – von der
Rebellion zur Assimilation- in Worte gefasst wurde.
Im Jahr 2001 gründeten die Künstler „Spectre“, „Spaiche“ und „Halil“ das
Independent Label „Aggro Berlin“. Während die Namen der Männer hinter dem Label
in der Öffentlichkeit weites gehend unbekannt geblieben sind, sind es die vom Label
geformten Charaktere2, die dominierend über ihren musikalischen Output und ihre
mediale Inszenierung, „Aggro Berlin“ von Beginn zum Objekt eines interpersonellen
Diskurses machen. Das Grundkonzept des Labels und somit all seiner kulturellen
Manifestationen ist hierbei ein ganz ähnliches wie es den Werken des französischen
Literaten Jean Genet zu eigen ist. Genet formuliert diesen Ethos in seinem Werk
„jornal du voleur“ wie folgt:

„Je größer schließlich meine Schuld in Euren Augen sein wird, je vollständiger, je
vorbehaltloser ich mich zu ihr bekenne, desto größer wird meine Freiheit sein.“

Und es ist die Ästhetisierung des, von der Gesellschaft dem Subjekt aufgebürdeten,
Elends, die der Philosoph Max Bense in seinem Vorwort zum zitierten Werk zu einem
Prinzip des menschlichen Seins aufwertet, wenn er davon spricht, dass jede
existentielle Lage eine Ruhelosigkeit des Geistes bewirkt und erschafft, die des
Ausdrucks bedarf. Eben dieser Ausdruck des ruhelosen Geistes, erschaffen aus
existentiellen Lagen, ist es dann auch, der sich in allen Manifestationen „Aggro
Berlins“ wiederfindet und dessen ästhetisierte Ausformungen immer das Zentrum
aller Kritik am Gangster-Rap bildeten und bis heute bilden. Wird dieser Umstand der
Manifestation in Bezug zur Geschichte des deutschen Hip-Hop gesetzt, so offenbart
sich ein wichtiges Element der Differenz. Die Rapper von „Aggro Berlin“ sind zu
Beginn ihrer medialen Inszenierungen nicht in die Gesellschaft inkludiert, sondern
befinden sich allesamt in einem Status der gesellschaftlichen Exklusion. Im
Gegensatz zu solchen Formationen wie den „Fantastischen Vier“ und deren
Mitgliedern, die allesamt gefestigten Strukturen des bürgerlichen Milieus
entstammen, finden sich bei „Aggro Berlin“ Charaktere, die, um mit Ervin Goffman zu
sprechen, vielfacher Stigma unterliegen.
Jedoch und das ist eine weitere Besonderheit, illusionieren die Künstler von Beginn
an in ihren Manifestationen keine gesellschaftliche Utopie, die eine Inklusion ihrer
Selbst ermöglichen würde. Alle sind sich darüber bewusst, dass eine Inklusion Ihrer
nur über das Kapital erfolgen kann und so wird, ganz nach Marx Logik der
Akkumulation des Kapitals, von Beginn an eine hemmungslose Ästhetisierung
kapitalistischer Herrschaftsstrukturen betrieben. Gespeist aus der Hoffnung, dass
eine erfolgreiche Partizipation an diesem Prozess eine erfolgreiche
gesamtgesellschaftliche Integration bewirken kann. In diesem Handeln dem Ethos
Genets wiedersprechend, da dessen Freiheitsbegriff untrennbar an die
gesellschaftliche Exklusion gebunden ist. Dieser Wiederspruch in Verbindung mit
dem Wunsch, abgebildet in der Ästhetisierung des Kapitals, zeigt dann auch den
zentralen Punkt auf, um den es mir in diesem Essay geht: „Aggro Berlin“ und seinen
Künstler ging es niemals um Rebellion oder die Veränderung eines gesellschaftlichen
Status Quo. Ihre Rebellion ist zu jeder Zeit lediglich Ausdruck und Manifestation ihres
ruhelosen Geistes, der, wie bereits geschildert, Produkt ihrer existentiellen Identität
ist. Folglich ist somit ein Verschwinden des Moments der Rebellion, bei gleichzeitiger
Assimilation, bei allen Akteuren zu beobachten. Und so ist letztendlich auch geklärt,
warum „Bushido“ und „Sido“ im Jahr 2011 mit Peter Maffay über ihre gelungene
Assimilation, die sie als Integration definieren, im Lied „Erwachsen sein“ reflektieren.
Letztendlich sind sie im Jahr 2011 dort angekommen wo sie immer hinwollten. Die
illusionierte „Mitte“ der Gesellschaft.

Literatur:
Amend, Lars; Bushido: Bushido, München, 2008
Bense, Max: Genets Tagebuch, in: Genet, Jean: Tagebuch eines Diebes, Vastorf bei
Lüneburg, 1983
Genet, Jean: Tagebuch eines Diebes, Vastorf bei Lüneburg, 1983

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen