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„Ich möhte irgendwas für dich sein.
Doch am Ende bin ich nur ich selbst.“
-Tocoronic-
Ich..., du..., wir..., die Anderen...,
Identität...und Identitätskonstruktion...Halt, Stopp! Mir rauscht
jetzt schon der Kopf. Perfekt.
Denn per se ist dieses Rauschen im Kopf
ein guter Ausgangspunkt für unsere Überlegungen.
Versuchen wir uns doch mal gemeinsam an
den letzten Abend zu erinnern, an dem wir uns richtig fett auf den
Weg zum nächstbesten Würstelstand gemacht haben.
Dem französischen Philosophen Jean
Paul Satre geht die Essenz der Existenz immer voraus. Was eigentlich
nicht mehr heißt, als das der Gang zum Würstelstand (Existenz)
immer meist dann erst erfolgt, wenn der Mensch richtig fett ist
(Essenz). Gerade Letzteres ist, grob vereinfacht, auch jener Moment,
den Martin Heidegger unter dem „in die Welt geworfen sein“
begreift. Wir irren fett umher und suchen nach Sinn, beziehungsweise
dem Imbiss der noch offen hat.
Was aber nun hat das, was wir unter dem
Begriff der Identität versuchen wollen zu fassen, mit dem
Würstelstand zu tun? Ganz einfach: Den Moment der Wahl. Ebenso, wie
wir uns am Stand schon in der Schlange Gedanken machen, was wir denn
nun alles nehmen, wieviel Geld noch in unseren Taschen steckt und
dann doch wieder alles verwerfen, weil der vor uns in der Reihe
Stehende sich auf die Schuhe gekotzt hat und deswegen ganz unerwartet
und spontan dran kommen, so besteht auch unsere Identität aus
vielfältigen Entscheidungen. Seien diese nun aktiver oder
zugeschriebener Natur.
Räumen wir anhand unseres Beispiels
aber erst einmal mit einigen Allgemeinplätzen auf.
Vielleicht mögen wir Käsekrainer
unheimlich gern, weil unser Vater immer schon welche gegessen hat und
unsere ganze Familie zuvor auch. Das wir deswegen aber zwangsläufig
nur Käsekrainer essen, ist, mit Verlaub, Unfug. Ebenso verhält es
sich mit dem Faktor der verschiedenen Sozilisationsinstitutionen in
Bezug auf die Subjektgenese.
Gleichfalls funktioniert das, was hier
vereinfacht unter dem Begriff „Kultur“ summiert werden soll,
nicht wie ein Container. Auch, wenn die FPÖ gerne hätte, dass
Österreich aus Lederhosen, Bier und Andreas Gabalier bestehen würde,
so beweist MC Strache doch allein mit seinen Rapvideos das genaue
Gegenteil. SoziologInnen sprechen hier vom Effekt der Glokalisierung.
Globale Phänomene, die sich mit lokalen Gegebenheiten zu etwas Neuen
vermischen. Am Würstelstand ist dieses Phänomen spätestens dann
erkennbar, wenn der Kollege sich ein Schnitzel im Fladenbrot und
Joghurtsauce bestellt und dazu den treffenden Namen „Melting Pot“
benutzt.
Widmen wir uns also wieder dem Moment
der Wahl und dessen Auswirkungen auf die Identität. Wir zuvor
dargestellt, hängt unsere Wahl am Würstelstand von vielen Faktoren
ab. Einige davon können wir beeinflussen, andere nicht. Wieviel Geld
habe ich noch? Schmecken mir Würstle um 2 Uhr Nachts überhaupt
noch? Und will ich noch ein Bier dazu oder lieber einen Schnaps?
Andere aber liegen außerhalb unseres individuellen Seins und sind
Resultate von Entscheidungen der Anderen, beziehungsweise all dem,
was uns umgibt. Hat der Stand Ottakringer oder Stiegel? Warum gibt es
keine Pommes mehr und warum zur Hölle gibt es hier grindige vegane
Würstchen?
Adorno und Horkheimer würden an dieser
Stelle auf den dialektischen Charakter von Identität und
Konstruktion verweisen. Was nichts anderes heißt, als dass ich zwar
beim Würstelstand meine frei wählen zu können, allerdings immer
froh sein muss, dass der Prolet, dem der Stand gehört, mir nicht
eine auf die Goschen haut.
Es ist aber gerade jener Moment der
Wahlfreiheit der wiederum einen Allgemeinplatz abbildet, den jede/r
von uns mindestens schon dreimal in seinem Leben gehört hat: „Die
Welt wird immer komplizierter.“
Und in der Tat, wir müssen wählen.
Ottakringer, Stiegel, Puntigamer, Schwechater oder...wäh, pfui, ein
importiertes Heineken.
Warum aber gerade diese Entscheidungen
von komplizierterer und existentiellerer Art sein sollen, als jene
Entscheidungen, die Menschen Jahrhunderte vor uns treffen mussten,
wissen meist nur die Leute, die eben diese Rhetorik pflegen. Und das
Entscheidungen bei weniger Wahlmodalitäten einfacher sind, weiß
jede/r nach Wien Zugezogene spätestens dann, wenn einem die
obligatorische Frage „Austria oder Rapid?“ ins Gesicht schlägt.
Wovon wir uns verabschieden müssen ist
die ganzheitliche und totalitäre Vorstellung einer singulären
Identität. Es mag zwar Menschen geben, die, wenn sie nachts fett
umherirren, Stunden damit verbringen einen Würstelstand zu finden,
die meisten von uns aber geben sich auch mit einem Döner, einer
Pizza oder dem nahegelegenen Asiaten zufrieden.
Die Theoretikerinnen nennen diesen
Effekt „partikulare Identität“. Klingt kompliziert, verweist
aber auf nicht mehr als auf den Umstand allein, dass wir als Subjekte
verschiedenartige Konzepte von Identitäten in uns vereinen und mit
verschiedenartiger Gewichtung nach Außen hin gerichtet präsentieren
und repräsentieren. Fragen wir den Besitzer unseres Würstelstands,
was er unter Identität versteht, dann bekommen wir vielleicht als
Antwort: „Männlich, stolzer Besitzer einer Gemeindebauwohnung in
Florisdorf, Mitglied im Schützenverein und achja, seit 25 Jahren
verheiratet.“
Würden wir die anderen Menschen in der
Schlange fragen, so würden wir wiederum ganz andere Antworten
erhalten. Dem Horrorszenario folgend, dass wir uns vielleicht sogar
im 7. Bezirk an einen veganen Würstlestand verirrt haben, würden
die Antworten wahrscheinlich sogar komplett anders ausfallen als beim
unseren florisdorfer Urwiener - auch wenn eine Studentin aus Japan
die beiden primär erstmal beide als Österreicher kategorisieren
würde und damit auf einen Moment kollektiver Identität verweist,
dem die beiden angehören: Der konstruierten nationalen Identität
als Österreicher. Oder wie Sebastian Kurz sagen würden:
#stolzdrauf.
Viele Konflikte sind demgemäß
Konflikte in denen Individuen oder Kollektive Teile ihrer Identität
zum singulären Merkmal erheben und andere Individuen und Kollektive
dergestalt hierarchisieren und diskriminieren. Auch dies lässt sich
ganz leicht und wunderbar am Würstelstand beobachten. Wenn ich dort
stehe und dem hinter mir Stehenden mal ordentlich eine mitgebe, weil
er meine Meinung nicht teilt, dass es auf dieser Welt nur Käsekrainer
geben sollte und das dieser Stand hier im (bitte einen Bezirk nach
Wahl einsetzen) sowieso der einzig wirklich Richtige Würstelstand in
Wien ist, dann zeigt das erstmal, das ich ein Arschloch bin. Auf der
anderen Seite zeigt es aber auch, dass mir Käsekrainer und das
Gefühl der Zugehörigkeit zu diesem einem Stand so wichtig sind,
dass ich sie über andere Teile meiner Identität setze und als
singulären Moment nach außen hin repräsentiere. Auch, wenn die
Repräsentation mit der Faust eine doch sehr grindige ist.
Es zeigt aber auch, dass Menschen, die
ihre Identität oder das Kollektiv dem sie sich zugehörig fühlen,
derart singulär repräsentieren, nicht um andere Konzepte wissen. Na
klar weiß ich, dass ein Frankfurter auch mal leiwand sein kann und
das der Stand direkt nebenan die besseren Semmeln hat. Ich versuche
diese Momente des Wissens aber bewusst zu vergessen, damit die
anderen Konzepte ihre Dominanz entfalten können.
Und so endet unsere Nacht am
Würstelstand. Aber folgen wir kurz noch einer ahnungslosen
Passantin, die die Szenerie passiert. Was würde sie sehen?
Wahrscheinlich nur ein paar Proleten, die sich auf die Goschen hauen,
weil der eine nicht einsehen will, dass ein Frankfurter ebenso
leiwand sein wie ein Käsekrainer und einen Typen der sich die Hose
vollgekotzt hat.
Proleten und Asoziale, die Nachts um 2
Uhr am Würstelstand herumhängen bleiben sie für die Frau in diesem
Moment aber alle. Das ist dann wiederum der Moment kollektiver
Identitätszuschreibung. Mal ganz davon abgesehen, dass ich in
Wahrheit doch Piefke bin...
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