„Nichts bewahrt uns so
gründlich vor Illusionen wie ein Blick in den Spiegel.“
-Aldous Huxley-
No Future!? Es ist die Vorstellung von der Stagnation der Geschichte
- die Idee, dass sich nichts mehr ändern kann und auch erst recht
nicht mehr wird, die die verschiedensten Subkulturen nach dem Ende
des zweiten Weltkrieges zutiefst prägte. Wo das Credo der Punks zur
selbstgefälligen Rechtfertigung wurde, da war es die Kultur des
Industrial, die in ihren Performances die Horrorszenarien einer
hochtechnisierten Ordnung künstlerisch ver- und bearbeitete.
Theorien, wie dass die technische Entwicklung der Moderne geradewegs
hinein in die Kanonenrohre der Weltkriege und die Öfen der
Konzentrationslager führten, bildeten Momente, die Gruppen wie
„THROBBING GRISTLE“ konsequent zum Thema ihrer künstlerischen
Agenda erhoben. Die Vorstellung von der Zivilisierung als endgültiger
Befriedung – eine enttäuschende Illusion!
Doch auch wenn die dystopischen Vorstellungen vom Ende der Geschichte
uns immer wieder aufs Neue faszinieren, so gibt es immer noch
DenkerInnen, deren Überlegungen fest in der utopischen Überzeugung
wurzeln, dass sich eines Tages alles grundlegend ändern könnte. Der
Philosoph Alain Badiou gehört zu diesen Denkern und seine
Vorstellungen von der Veränderung kumulieren im Begriff des
Ereignisses:
„Ein Ereignis ist für mich
etwas, das eine Möglichkeit erscheinen lässt, die unsichtbar oder
sogar undenkbar war.“1
Was aber verbindet die Dystopie
des Industrial, die NINE INCH NAILS (NIN) und Badious Vorstellungen
vom Ereignis? Mehr, als vorerst anzunehmen ist!
Trent Renzor, Begründer und
einziges permanentes Mitglied der NIN, hat bei Weitem keinen Grund
sich zu beschweren. Seine Musik wurde mit den höchsten Musikpreisen
ausgezeichnet und verkaufte sich von Beginn an sensationell gut.
Johnny Cash coverte das Lied
„HURT“ von Reznors Opus Magnum „THE DOWNWARD SPIRAL“ und
prominente Musiker, wie Dave Grohl, sind Gäste auf aktuelleren
Alben. Im Jahr 2011 folgte ein weiterer Höhepunkt: Die Musik zu
David Finchers „THE SOCIAL NETWORK“, die Reznor zusammen mit
Atticus Ross komponiert hatte, erhielt einen Oscar.
Zur Zeit sind es wohl die immer
wieder aufkommenden Gerüchte, dass das Werk „YEAR ZERO“ der NIN
aus dem Jahr 2007 für den Sender HBO in eine
Mini-Serie verwandelt werden soll, die nicht nur Musik- sondern auch
Filmfans aufhorchen lässt.
Jedoch ist es nicht der Erfolg
oder die Sehnsucht nach Rum und Anerkennung, die Raznor antreibt,
sondern seine radikale und kompromisslose Wut, als Resultat der
eigenen Ohnmacht und zugleich sein Glaube und Wunsch nach
Veränderung.
Früh findet diese Attitüde im
Werk „THE DOWNWARD SPIRAL“ ihren brachialen Ausdruck. Im Song
„PIGGY“ formuliert Raznor wie folgt:
„Nothing can stop me now
I don't care anymore“
Die Zeile „Nothing can stop me now“ taucht dergestalt noch in
vielen weiteren Songs der NIN auf und kann zurecht als die zentrale
Botschaft des gesamten Oeuvres angesehen werden; gerade weil sie in
dualistischer Funktion auf die Wurzeln der NIN verweist, zugleich
aber immer auch einen Moment der Utopie transportiert.
Immer wieder wird das Schaffen der NIN in Bezug zu Gruppen wie
„THROBBING-GRISTLE“ oder „SPK“, gesetzt. Was hierbei jedoch
klar sein sollte, ist, dass die NIN ideell, wie musikalisch, der Band
„MINISTRY“ immer näher standen, als den experimentellen
Geräuschorgien von Genesis Breyer P-Orridge und Co. Was die NIN mit
dem Industrial aber wiederum eint, ist der Modus der Kritik: Wenn
Diedrich Diederichsen vom Pop als einem Ort spricht, indem Männer
ihre Liebe zu Frauen besingen, dann verweist diese Hypothese auf eine
wichtige Tatsache, nämlich die, dass Kritik im Pop ein ziemlich
unerwünschter Faktor ist und höchstens in solch pathetisch
„subversiven Dimensionen“ wie dem letzten UNHEILIG Hit zu denken
ist, der die ganze Familie gemeinsam vor dem heimischen Radio
vereint.
Es ist die radikal pessimistische Aggression gegenüber der
gesellschaftlichen Ordnung, die sich bei den NIN ganz im Geiste des
Industrial vollzieht, gepaart mit dem Glauben, dass sich eines Tages
doch noch alles ändern könnte. Eben jener Gestus der seinen
kompromisslosesten Ausdruck in der Zeile „Nothing can stop me now“
findet!
Auch wenn sich diese inhaltlichen Momente, gerade in ihrer
monumentalen musikalischen Inszenierung, zum Teil nicht dagegen
erwehren können, in Naivität, Kitsch und Pathos zu verfallen, so
ist es die inhaltliche Gesamtheit, die den Glauben und Hoffnung
weckt, dass es Reznor wirklich ernst um das ist, was er mit seiner
Musik zum Ausdruck bringt: Die Hoffnung, ganz im Sinne Alain Badious,
dass sich eines Tages etwas unvorhersehbares ereignet, dass
alles ändern könnte. Gepaart mit dem Blick des Künstlers in den
Spiegel, der die NIN vor allzu viel Utopie befreit und der sich in
ihrem Werk immer wieder im großen Unbehagen über den
gesellschaftlichen, wie individuellen, Status Quo niederschlägt. Die
NINE INCH NAILS sind eines der wichtigsten popkulturellen Phänomene
der letzten Jahrzehnte. Gerade weil sie einen Gedanken in den Pop
getragen haben und seitdem immer wieder aufs Neue ausformulieren und
ihrem Publikum entgegenschreien: Der Status Quo ist nicht das Ende
der Geschichte!
Der arabische Frühling, Griechenland, die Türkei und Brasilien
haben es längst gezeigt: Die philosophische und musikalische Idee
vom Umbruch ist nicht längst keine Illusion mehr...
Nothing can stop us now!
1Badiou,
Alain; Tarby, Fabien: Die Philosophie und das Ereignis. Mit einer
kurzen Einführung in die Philosophie Alain Badious, Wien, 2012 S.17
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